Es ist immer das gleiche Spiel mit Drogen: Nimmt der Konsum einer Substanz ab, steigt dafür der Konsum einer anderen an. Für den Moment bedeutet das: Die Zahl der Menschen, die Heroin oder Kokain nehmen, bleibt (zumindest in Europa) stabil oder sinkt sogar. Dafür werden aber sogenannte neue psychoaktive Substanzen immer beliebter. «Neu» deshalb, weil sie das Feld bisheriger psychoaktiver Substanzen, also schlicht aller Substanzen, die das Bewusstsein verändern, ergänzen. Fünf Prozent der 15- bis 24-Jährigen in Europa haben bereits damit experimentiert.
Die zunehmende Beliebtheit hat einige sehr praktische Gründe: Die Substanzen sind vergleichsweise günstig. Viele sind sogar legal – so legal, dass sie einfach über das Internet bestellbar sind. Für die Hersteller in ihren Chemielabors sind sie ein lukratives und sicheres Geschäft. Schafft es eine Substanz doch einmal auf die rote Liste, tüfteln die Produzenten fix ein chemisches Derivat, das dann wieder legal ist. Die Folge: Die Zahl der Stoffe nimmt kontinuierlich zu. Die Möglichkeiten chemischer Anpassungen sind unendlich.
Gefährlich und schwer kontrollierbar
Und so sehen sich vor allem die europäischen Länder zunehmend mit dem Problem konfrontiert, dass sich da eine ganz neue Sparte Rauschmittel entwickelt, die nur sehr schwer kontrollierbar ist. Ihre Legalität lässt die Mittel harmloser aussehen, als sie sind. Sie sind als Badesalz, Kräutermischungen oder Duftsäckchen auf dem Markt, als Forschungschemikalien, aber auch als Düngemittel oder Partypillen. Vielfach warnt ein Verpackungshinweis vor dem Konsum – doch der ist natürlich für die Konsumenten nur Farce.
Das grösste Manko der neuen Rauschmittel: Ein Grossteil der Substanzen ist nie am Menschen getestet worden und stellt deshalb ein völlig unkalkulierbares Risiko dar. Bekannt ist weder die genaue Wirkung auf den Körper noch das Suchtpotenzial der Mittel. Krankenhäuser berichten bereits von zahlreichen Vergiftungs- und sogar einigen Todesfällen. Darüber hinaus sind eine unübersehbar grosse Anzahl unerklärlicher Suizide dokumentiert, die auf den Konsum von derlei Mittel zurückgehen könnten. Was man weiss: Nachweisbar sind deutliche Auswirkungen auf Puls und Blutdruck, Atemnot, Veränderungen der Körpertemperatur, Koordinationsstörungen, Krampfanfälle oder sogar Kreislaufversagen. Tückisch sind aber auch die psychischen Folgen: Viele Nutzer sind verwirrt und zunehmend unkonzentriert, sprechen unklar, werden von negativen Gefühle übermannt, erleben Horrortrips oder den Ausbruch latent vorhandener psychischer Störungen. Heikel sind auch unkontrolliert wiederkehrende Flashbacks und die psychische Abhängigkeit.
Folgende Substanzgruppen der neuen psychoaktiver Substanzen (NPS) hat die UN identifiziert:
- Aminoindane: Designerdrogen, die stimulierend wirken und chemisch nah verwandt mit Ecstasy sind. Sie werden häufig als Chemikalien zu Forschungszwecken angeboten.
- Phencyclidin-artige Substanzen (PCP): Als Partydroge missbrauchtes Mittel, das ursprünglich als Anästhetikum entwickelt worden ist, dessen Verkauf aber aufgrund ungünstiger Nutzen-Risiko-Konstellation schnell eingestellt wurde. PCP unterliegt dem Betäubungsmittelgesetz, wirkt halluzinogen und oft dauerhaft psychisch verändernd.
- Tryptamine: chemische Verbindungen, die in der Natur auch als Stoffwechselprodukte vorkommen. Sie ähneln Botenstoffen im Gehirn wie Serotonin oder Melatonin. Die chemischen Nachbildungen dieser Stoffe wirken halluzinogen. Sie sind oft unter den Namen «Happy Pill», «Liebespille» oder «Hi-Trips» auf dem Markt.
- Synthetische Cannabinoide: Sind oft in Kräutermischungen enthalten, die eigentlich als Raumduft angeboten werden, die Kosumenten jedoch rauchen. Auf den Päckchen werden die synthetischen Cannabinoide oft nicht aufgeführt. Die Wirkung gleicht der des Cannabis-Wirkstoffs THC.
- Synthetische Cathinone: Derivate der international kontrollierten Substanz Cathinon, einem Inhaltsstoff der Khat-Pflanze. Sie wirken stimulierend und beinhalten oft Mephedron oder MDPV.
- Ketamin: ein Anästhetikum, das in der Human- und Tiermedizin zum Einsatz kommt. Wirkt stimulierend und in höheren Dosen halluzinogen. Vor allem in Asien weit verbreitet.
- Phenethylamin: kommt im Bittermandelöl und in Kakaobohnen vor. Ähnelt Amphetaminen. Kleine chemische Veränderungen können sehr heftige Halluzinogene hervorbringen, wie die Forschungschemikalie «Bromo-Dragonfly».
- Piperazin: ist heute noch ein wichtiger Ausgangsstoff für viele pharmazeutische Wirkstoffe. Es war 1980 das erste Medikament, das die Schering AG auf den Markt brachte – ursprünglich als Verjüngungsmittel. Derivate davon werden heute als Designerdrogen verkauft, deren Wirkung der von Ecstasy ähnelt und die das zentrale Nervensystem stimulieren.
- Substanzen auf pflanzlicher Basis: Kratom (Pflanze aus Südostasien, die in niedrigen Dosen stimulierend wirkt, in hohen beruhigend), Salvia divinorum (aus mexikanischen Wäldern, von aztekischen Schamanen zum Wahrsagen verwendet; wirkt halluzinogen), Khat (vor allem in der Kap-Horn-Region und auf der arabischen Halbinsel bekannt; Blätter werden gekaut und wirken anregend).
Waren 2009 noch 166 solcher psychoaktiver Substanzen aus der Drogen- und Partyszene bekannt, lag deren Zahl Mitte 2012 schon bei 251 – das entspricht einer Zunahme von mehr als 50 Prozent.
Eidgenössische Experimente
Die Schweiz spielt in der Geschichte der Halluzinogene eine besondere Rolle. 1943 entdeckte der Basler Chemiker Albert Hofmann erst LSD und dann im Laufe der Jahre im Rahmen seiner pharmakologischen Forschung auch das Psilocybin, der Wirkstoff vieler magischer Pilze. In Psychiatrien wurde versucht, Halluzinogene im Rahmen der Psycholyse zu therapeutischen Zwecken einzusetzen. 1971 gewährte die Schweiz Timothy Leary, dem LSD-Guru, politisches Asyl. 1973 wurde das Betäubungsmittelgesetz geändert und Halluzinogene schliesslich verboten.