Nach einem Velounfall oder einem Sturz ist eine Rehabilitationstherapie nichts Ungewöhnliches. Aber wegen Kopfschmerzen? Was seltsam klingt, ist für Simone Markwalder Realität.
Seit einer Woche ist sie in der Reha im Kopfschmerzprogramm in Zurzach. Auf der Tagesordnung stehen Massagen, Physiotermine und Gesprächstherapien. Davor musste sie in einem Spital eine Woche lang einen stationären Entzug machen, eine sogenannte Medikamentenpause. Denn die 26-Jährige leidet an Medikamentenübergebrauchs-Kopfschmerzen, kurz MÜKS.
Schon als Kind litt Markwalder an Kopfschmerzen, musste häufig rezeptfreie Schmerzmittel schlucken. Nach der Lehre erfährt sie von Spezialisten, dass sie Migränikerin ist. Zu den gewohnten Schmerztabletten gesellen sich nun noch migränespezifische Akutschmerzmittel wie Triptane.
Im Teufelskreis gefangen
Doch ihre Kopfschmerzen werden trotzdem immer schlimmer. Damit sie weiterhin Vollzeit arbeiten kann, schluckt sie eine Zeit lang täglich Medikamente. Diese helfen aber immer weniger, und der Schmerz hält immer länger an. Es geht so weit, dass ihr Hausarzt sie in die Notaufnahme schickt. Dort wird sie mit Kortison behandelt.
Simone Markwalder ist in einem Teufelskreis gefangen. Wenn sie an Kopfschmerzen leidet, nimmt sie ein Schmerzmittel – in der Hoffnung, dass es hilft. Es bringt ihr aber keine Linderung mehr. Im Gegenteil: Es ist mittlerweile selbst der Übeltäter. Diagnose: MÜKS.
Ich habe andauernd Kopfschmerzen – und das schon so lange, dass ich nicht mehr weiss, wie sich eine Migräne anfühlt
In der Rehaklinik bemerkt Simone Markwalder rückblickend, wie sie zwischen Migräne und MÜKS nicht mehr unterscheiden konnte: «Ich habe andauernd Kopfschmerzen – und das schon so lange, dass ich nicht mehr weiss, wie sich eine Migräne anfühlt.»
Ihre Ärzte hatten sie auf die Risiken der Medikamente hingewiesen. Ihr sei bewusst gewesen, dass durch die vielen rezeptfreien Schmerzmittel in Kombination mit den Migräne-Akutmitteln die MÜKS entstehen können.
Die Medikamentenpause
Nachdem Simone Markwalder zwei «Status Migränosus» in Folge hatte – also eine Migräne-Attacke, die länger als 72 Stunden anhält –, wollte sie etwas ändern. Das sei keine Lebensqualität mehr gewesen, meint sie. Ihre Ärzte haben ihr geraten, selbstständig zu Hause eine Medikamentenpause zu machen.
Die Medikamentenpause kann man nicht mit einem Entzug bei Drogenabhängigkeit vergleichen. Schmerzmittel machen körperlich nicht abhängig.
Im Fall von Markwalder sah die Pause so aus: Sie hat teilweise ganz auf Schmerzmittel verzichtet und wurde stattdessen unter anderem mit Kortison behandelt. Dabei wurde sie von ihren Ärztinnen betreut und hatte regelmässig Kontrolltermine. Mittlerweile hat sie drei solche Pausen hinter sich.
Der Entscheid für die Reha
Simone Markwalders Leben wird durch die MÜKS stark eingeschränkt, sie zieht sich zurück und ihre Beziehungen leiden darunter. So kann es nicht weitergehen.
Nach den drei erfolglosen Medikamentenpausen und dem Dauerkopfschmerz entscheidet sie sich zusammen mit ihren Ärzten für ein Kopfschmerzprogramm, das in der Reha-Klinik Zurzach Care eigens für Betroffene mit chronischen Kopfschmerzen wie etwa MÜKS entwickelt wurde.
Von Ausdauertrainings bis zu Massagen
Das Programm sieht so aus: Zuerst müssen die Betroffenen einen stationären Entzug absolvieren. Danach beginnt das eigentliche und begleitete Kopfschmerzprogramm in der Rehaklinik, das zwei bis drei Wochen dauert. Elemente des Kopfschmerzprogramms sind: Physiotherapie, medizinische Massagen, Ausdauertraining, Entspannungsverfahren, schmerzpsychologische Begleitung und bei Bedarf Akupunktur.
Diese Elemente sollen dabei helfen, dass Simone Markwalder besser mit den chronischen Kopfschmerzen leben kann. Sie lernt verschiedene Methoden kennen, die sich in ihren Alltag integrieren lassen. Zum Beispiel, wie sie sich entspannen kann, welche Alternativen es zu Schmerzmitteln gibt, wie sie ihrem Körper mehr vertraut und bewusster Schmerztabletten zu sich nimmt.
Hilfe für Schmerzgeplagte
Zurück im Leben
Drei Wochen nach der Entlassung sprechen wir mit ihr. Simone Markwalder geht es gut. Seit sie das Programm abgeschlossen hat, musste sie keine Kopfschmerztabletten zu sich nehmen. Sie konnte die neu erlernten Methoden anwenden.
150 Betroffene werden jährlich im Schmerzprogramm in Zurzach behandelt. Laut einer eigenen Untersuchung der Rehaklinik schaffen es zwei Drittel, nach der stationären Therapie mit weniger Medikamenten auszukommen – und so aus dem Teufelskreis auszubrechen.