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Schweizer Psychiatrie Facharzttitel mit wenig Prestige

Schweizer Ärztinnen und Ärzte interessieren sich kaum mehr für das zweitgrösste medizinische Fachgebiet – doch auch aus den Nachbarländern kommen immer weniger Ärzte an die Kliniken.

Ein Grund für den vermehrten Zuzug ausländischer Psychiater ist der Mangel an einheimischem Nachwuchs. Ärztinnen und Ärzte, die in der Schweiz ihr Medizinstudium abschliessen, interessieren sich kaum noch für den Facharzttitel «Psychiatrie und Psychotherapie». Das das Ergebnis einer weiteren Auswertung von Daten des Instituts für ärztliche Weiter- und Fortbildung SIWF durch die SRF-Gesundheitssendung «Puls».

Die Auswertung der von den Kliniken 2019 gemeldeten Daten der ärztlichen Assistenzstellen zeigt: Während im grössten Fach «Allgemeine Innere Medizin» 65 Prozent Assistenzärzte ein Schweizer Arztdiplom haben, sind es im zweitgrössten Fach «Psychiatrie und Psychotherapie» nur 25 Prozent – das ist der tiefste Schweizer-Anteil der grössten medizinischen Fachbereiche.

Vergleich Assistenzstellen der grössten Medizinbereiche

FachrichtungTotal Stellen 2019Mit CH-Arzt-diplommit EU-Arzt-diplommit Nicht-EU-Arzt-diplomTotal EU & Nicht-EU
Allgemeine Innere Medizin351964.6%32.4%3.0%35.4%
Psychiatrie und Psychotherapie141625.0%61.1%13.9%75.0%
Chirurgie111849.1% 49.0%1.9%50.9%
Anästhesiologie65765.1%33.8%1.1%34.9%
Gynäkologie und Geburtshilfe63641.8%55.5%2.7%58.2%
Quelle: SIWF-Statistik, 2019
Auswertung: SRF «Puls»

Noch 2009 lag der Schweizer Anteil bei 37 Prozent – doch dieser Anteil ging seither kontinuierlich zurück, obschon die Psychiatrische Fachgesellschaft SGPP seit mehren Jahren versucht, mehr Schweizer Jungärztinnen und -ärzte für das Fach zu begeistern.

Doch laut Julius Kurmann, Weiterbildungsverantwortlicher der SGPP, hat die Psychiatrie ein schlechtes Image. Die Ausbildung zum Facharzttitel daure auch lange, sei teuer, und man müsse sich im Unterschied zu anderen medizinischen Fächern als «ganzer Mensch eingeben».

Video
«Man muss sich in der Psychiatrie als ganzer Mensch eingeben in die Beziehung mit den Patienten – das schreckt viele Ärztinnen und Ärzte ab.»
Aus Puls vom 17.02.2020.
abspielen. Laufzeit 27 Sekunden.

Der Mangel an Schweizer Ärztinnen und Ärzten zeigt sich vor an allen in Kliniken und Ambulatorien – also dort, wo es um anspruchsvolle Notfälle in akuten Krisen und um heikle Zwangseinweisungen geht. Während ihrer sechsjährigen Facharztausbildung arbeiten dort viele Assistenzärzte im direkten Patientenkontakt.

Weniger Deutsche – mehr Nicht-EU

Wurde in früheren Jahren noch Stellen mit Ärzten aus den Nachbarländern Deutschland, Österreich und Frankreich (Romandie) besetzt, müssen viele Kliniken ihr Arztpersonal mittlerweile auch ausserhalb der EU rekrutieren. Auch das zeigt die «Puls»-Datenauswertung.

Betroffen sind besonders Kliniken ausserhalb der grossen Zentren. So haben die Psychiatriedienste des Kantons Aargau sowie des Kantons Solothurn mittlerweile rund 40 Prozent Ärztinnen und Ärzte mit einem Nicht-EU-Diplom in ihren Diensten.

Bei den Psychiatrischen Diensten St. Gallen Süd sind es sogar 45 Prozent. Dort kommen die meisten dieser Ärztinnen und Ärzte aus Serbien, weitere aus Russland, Sri Lanka, Ägypten oder Tunesien.

Für die Klinik bedeute das einen grösseren Aufwand, sagt Angela Brucher, Chefärztin Psychiatrie-Dienste Süd gegenüber «Puls». Gerade zu Beginn müssten diese Assistenten enger betreut werden und würden durch erfahrene Oberärzte, aber auch durch das Pflegepersonal unterstützt.

Zudem habe man mit der Migros-Klubschule ein Angebot für vertiefende Deutschkurse aufgebaut. Grundsätzlich werden für ausländische Ärztinnen und Ärzte bei der Anstellung Deutschkenntnisse auf B2-Niveau vorausgesetzt.

Tagesschau am Mittag, 17.02.2020, 12:45 Uhr

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