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Sterbehilfe bei Demenz – «Einsicht ohne Handlung reicht nicht»

Immer mehr Menschen leiden an fortschreitender Demenz ohne Hoffnung auf Heilung. Ein begleiteter Freitod bei dieser Diagnose ist ein schwieriges und zeitsensibles Thema – aus verschiedenen Gründen, wie Freitodbegleiterin Heidi Vogt berichtet.

Demenzerkrankungen sind auf dem Vormarsch. Derzeit leiden 119'000 Menschen in der Schweiz daran. Weil wir immer älter werden, könnten es 2030 bereits 200'000 Menschen sein. Schon heute ist die Demenz der häufigste Grund für Pflegebedürftigkeit im Alter, und Demenzerkrankungen sind in der Schweiz die dritthäufigste Todesursache nach Herz-Kreislaufleiden und Krebs.

Für die Meisten ist der fortschreitende Verlust der geistigen Fähigkeiten eine erschreckende Vorstellung. Warum also nicht «die Reissleine ziehen», bevor das Vergessen ein selbständiges Leben unmöglich macht?

Acht demenzkranke Personen entschieden sich 2014, mit Hilfe von Exit so aus dem Leben zu gehen. Das stellt Betroffene, deren Angehörige und auch die Sterbehilfe-Organisationen selbst vor grosse Herausforderungen, denn der begleitete Freitod kommt nur in einem (Früh-)Stadium in Frage, wenn es der Person noch gut geht, sie noch nicht pflegebedürftig und geistig noch in relativ guter Verfassung ist.

Heidi Vogt

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Heidi Vogt ist Leiterin Freitodbegleitung bei Exit. Sie leitet ein Team von über 30 ehrenamtlichen Freitodbegleiterinnen und -begleitern in der ganzen Schweiz. Im Jahr 2014 begleiteten sie 583 Menschen in den Freitod, gerade einmal 8 von ihnen waren demenzkrank.

SRF: Frau Vogt, für einen begleiteten Freitod ist es ja massgeblich, dass die Person die Entscheidung selbst bewusst fällen und auch in die Tat umsetzen kann. Steht nicht genau das mit einer Demenz im Widerspruch?

Heidi Vogt: Das ist in der Tat schwierig. Verschiedene Faktoren müssen gegeben sein. Einerseits muss die Person ihre Situation verstehen und ihre Krankheit benennen können. Darüber hinaus weiss die Person, was mit Fortschreiten der Krankheit auf sie zukommt, sie kennt die Prognose, aber auch die bestehenden Therapiemöglichkeiten und die Alternativen und kann diese auch schildern. Also im Sinne von: «Ich weiss, dass mein Gedächtnis immer schlechter wird, ich weiss, dass ich irgendwann Pflege benötige und dann in ein Pflegeheim müsste.»

Dann muss sie nachvollziehbar beschreiben, warum sie in der Bilanzierung ihrer ganzen Lebenssituation eine Freitodbegleitung den anderen Alternativen vorzieht. Ein Beispiel kann sein: «Mein Vater war fünf Jahre lang dement im Pflegeheim, und das möchte ich für mich nicht.» Ein weiterer Faktor ist: Die Person kann nicht nur den Willen bilden, sondern ihn auch umsetzen. Einsicht allein ohne Handlung reicht nicht aus. Natürlich braucht es dabei dann oft Hilfe durch Angehörige, aber der Anstoss muss von der betroffenen Person selbst kommen – also der demente Ehemann seiner Frau beispielsweise sagen, sie solle für ihn Absprachetermine abmachen.

Wie stellt man fest, dass all diese Faktoren noch gegeben sind?

Immer wenn sich jemand bei uns meldet und sich informiert, ist der erste Schritt ein ärztliches Zeugnis eines behandelnden Arztes, aus dem hervorgeht, ob die Person urteilsfähig ist. Bei Demenzdiagnosen sind die Anforderungen sogar noch erhöht: Ein Hausarztzeugnis reicht dann nicht aus, sondern wir benötigen einen Bericht eines Facharztes, eines Neurologen, Psychiaters oder Geriaters. Zusätzlich macht sich dann auch die Freitodbegleiterin oder der -begleiter in den Gesprächen mit der betroffenen Person ein Bild über deren Urteilsfähigkeit.

Vom ersten Informationsgespräch über den Beschluss für einen begleiteten Freitod bis hin zur letztendlichen Medikamenteneinnahme vergeht ja bei Demenz meist eine längere Zeit, weil sich die Krankheit selten rasend schnell fortentwickelt. Wie gelingt es da, den richtigen Zeitpunkt für den begleiteten Freitod zu erwischen – also so lange zu leben wie möglich, aber rechtzeitig die Sterbehilfe anzunehmen?

Man kann eine Person begleiten und beobachten, wenn sie das wünscht. Da ist immer die Frage: Wer macht das? In meiner Erfahrung übernehmen diese Aufgabe oft Angehörige und der Hausarzt. Auch die Freitodbegleitperson kann da eine gewisse Rolle spielen. Sie melden dann Verschlechterungen des Zustands. Manchmal übernehmen das auch mehrere Personen, wenn eine allein die Verantwortung nicht tragen will. Aber all das immer nur, wenn der betroffene Mensch das auch so will.

Voraussetzungen

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Freitodhilfe ist möglich, wenn die sterbewillige Person...

  • versteht, was sie tut (Urteilsfähigkeit)
  • nicht aus dem Affekt handelt und sämtliche Alternativen zum Freitod erwogen hat (Wohlerwogenheit)
  • einen dauerhaften Sterbewunsch hegt (Konstanz)
  • von Dritten nicht beeinflusst wird (Autonomie)
  • den Suizid eigenhändig ausführt (Tatherrschaft)

Für Angehörige ist das aber eine extrem schwierige Situation, dem Angehörigen zu sagen, dass der Zeitpunkt für den begleiteten Freitod jetzt gekommen ist, denn es geht der Person ja soweit noch gut – sie muss ja immerhin noch urteils- und handlungsfähig sein.

Ja, man darf nie vergessen: Für Angehörige ist das Thema immer höchst delikat. Kann ich meinem Ehemann einfach sagen: «Ich glaube, für dich ist jetzt der Moment gekommen?» Wenn wir Freitodbegleiter in diesem Prozess eingebunden sind, können wir helfen, dass diese Person die letztendlichen Absprachen zum Freitod weder zu früh noch zu spät macht.

Denn manchmal kommen auch Menschen zu uns und sagen: «Ich habe Alzheimer, ich muss jetzt sterben.» Da bremsen wir natürlich. Aber es kommt auch vor, dass man den richtigen Zeitpunkt für den Freitod verpasst. Mir selber ist das noch nicht passiert, aber ich weiss von Kollegen, dass sie irgendwann sagen mussten, jetzt ist es zu spät, Urteils- und Handlungsfähigkeit reichen nicht mehr aus.

Wie stellen Sie andersherum sicher, dass die Person zum letztlichen Sterbezeitpunkt nach wie vor urteilsfähig ist?

Die Urteilsfähigkeit wird maximal zehn Tage vor dem Freitod nochmals durch einen Arzt überprüft. Hinzu kommt die Freitodbegleiterin oder der Freitodbegleiter mit ihrer bzw. seiner Einschätzung.

Die Kosten für diese Patienten belaufen sich schon heute auf sieben Milliarden Franken, ganz zu schweigen vom grossen psychischen und zeitlichen Einsatz, den viele Angehörige erbringen. Regelmässig wird deswegen der Vorwurf laut, man wolle sich mit dem begleiteten Freitod der auf Dauer unbequemen Demenzpatienten entledigen.

Das finde ich aber gerade bei Menschen mit Demenzdiagnose nicht zutreffend, weil diese Menschen ja einen Entscheid in einem Moment fällen müssen, in dem sie im Grunde noch Lebensqualität haben, noch gar nicht pflegebedürftig und auch noch in keiner Institution sind. Aber natürlich: Es ist ein gesellschaftliches Thema, wie wir alte Menschen sehen, welchen Stellenwert sie haben und was da auf uns zukommt – und auch, welche Botschaften wir dazu senden. Ich finde vielmehr: Es sollten sich alle Beteiligten zusammentun, um uns für die Rechte und Wünsche der alten Menschen einzusetzen.

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