Ein handfester Streit am Nebentisch, ein Vorgesetzter, der einen Mitarbeiter zusammenstaucht, ein Gast, der die Bedienung anpöbelt – schon strömt das Stresshormon Kortisol durch unseren Körper und versetzt uns in Alarmzustand.
Dass man auch als unbeteiligter Beobachter so reagiert, dafür sorgen die sogenannten Spiegel-Neuronen in unserem Hirn. «Das Wort ‹Spiegel› ist durchaus wörtlich zu nehmen», erklärt der Arbeitspsychologe Rolf Heim. «Diese Nervenzellen spiegeln quasi wider, was in unserer Umgebung passiert und lassen das den Körper erleben, als wenn es ihm selber widerfahren würde.» Das kann soweit gehen, dass uns der Stress der anderen mehr mitnimmt als die eigentlich Gestressten selber.
Dieser Effekt wurde auch in einer gross angelegten Studie des Max-Planck-Instituts Leipzig und der technischen Universität Dresden nachgewiesen. Dabei unterschieden die Forscher zwischen stellvertretendem Stress und Stressansteckung. «Es scheint eine Möglichkeit der Übertragung zu geben, die abhängig vom Empfinden anderer eine Stressantwort bei uns auslöst», halten die Studienautoren hierzu fest.
Aus evolutionärer Sicht dient dies nicht nur der eigenen Sicherheit, indem wir uns in potenziellen Konfliktsituationen unbewusst auf Flucht oder Kampf vorbereitet. Es ist auch ein wichtiger sozialer Faktor. «Wenn in einer Gruppe ein Mitglied oder mehrere unter etwas leiden und die anderen Mitgefühl zeigen, stärkt diese Empathie den Zusammenhalt in der Gemeinschaft», erklärt Rolf Heim.
Entsprechend stärker ist der Effekt unter engen Freunden oder in der Familie: «Unser Interesse daran, dass es diesen Personen gut geht, ist ungleich höher als bei Unbekannten. Also reagieren unser Nervensystem und Körper umso intensiver, wenn ihr Wohlergehen in Frage steht – wir geraten unter immer grössere innere Spannung.»
Eigenem Stress lässt sich mit Atem- oder Achtsamkeitsübungen, Distanz und Ablenkung beikommen. Bei empathischem Stress funktioniert das schlechter. «Das Leiden eines guten Freundes oder Arbeitskollegen erscheint uns schlimmer, als wenn es uns in selbem Masse betreffen würde», weiss Rolf Heim. «Da fällt es schwer, dem mit einem ‹das geht schon wieder vorbei› zu begegnen.»