«Heute ist ein guter Tag», erzählt Sue H., während der Espresso aus der Kaffeemaschine tröpfelt. «Gestern war schwierig. Ich hatte wieder starke Kopfschmerzen und konnte nicht so schnell denken.»
Eigentlich ist Sue eine Menschenfreundin und gerne in Gesellschaft. Die Kopfschmerzen aber machen ihr regelmässig einen Strich durch die Rechnung. Genau wie der Hirnnebel, der immer wieder kommt. Ein Druck auf Stirn und Augen, erklärt sie, während sie sich mit dem Kaffee an den Esstisch setzt: «Es fühlt sich dann an wie eine Grippe. Ich sehe alles wie durch einen Vorhang.»
Es begann nach der zweiten Schwangerschaft
Dieser Hirnnebel und das Kopfweh sind zwei von vielen Beschwerden, die sich nach der zweiten Schwangerschaft ins Leben von Sue H. geschlichen haben. 36 war sie damals.
Gewichtszunahme war das erste Anzeichen. Nach und nach kamen weitere Beschwerden hinzu: Müdigkeit, Energielosigkeit, Einschlafprobleme und Dünnhäutigkeit. «Mir fiel ein Glas aus der Hand. Und ich begann zu weinen.»
«Es sind die Hormone!»
Lange dachte Sue H., dass es der Stress wäre: die kleinen Kinder, der Job als Oberstufenlehrerin. Sie dachte zwar auch an Wechseljahre, kam aber schnell wieder davon ab. Die Menstruation war ja noch regelmässig, sagt sie – aber anders: «Ich hatte auf einmal eine extrem starke Menstruation, begleitet von heftigen Unterleibsschmerzen. Und ich spürte plötzlich den Eisprung sehr gut.»
Der Hausarzt machte zweimal ein grosses Blutbild und ein CT vom Kopf – alles unauffällig. Vier Jahre nach den ersten Beschwerden – kurz vor dem Lockdown – wurde alles zu viel: Sue H. stand kurz vor einem Burnout und liess sich krankschreiben. Dann stiess sie auf einen Artikel zum Thema Wechseljahre und realisierte: «Es sind die Hormone!»
Wechseljahrbeschwerden vor 40?
«Sue ist kein Einzelfall», sagt Susanna Weidlinger, Oberärztin im Menopause-Zentrum am Inselspital Bern. «Zu mir kommen viele dieser Frauen.» Und damit meint sie die Frauen zwischen Prä- und Perimenopause, also in der Übergangsphase zu den Wechseljahren.
Neben Kopfschmerzen und Schlafstörungen können in dieser Übergangsphase auch Blähungen auftreten, Gelenkschmerzen, Brustspannen, Schmierblutungen, Mutlosigkeit, Aggressivität oder Stimmungsschwankungen. Alles Beschwerden, die sich später in der Perimenopause, also den Wechseljahren, noch verstärken können.
Progesteron beginnt mit Mitte 30 zu sinken
Die Ursache für diese Beschwerden: Ab Mitte 30 beginnt das Hormon Progesteron zu sinken. Progesteron sorgt dafür, dass die Gebärmutterschleimhaut weich wird und sich eine befruchtete Eizelle besser einnisten kann.
Lange Zeit wurde Progesteron nur als Schwangerschafts- oder Menstruationshormon betrachtet. «Mittlerweile weiss man aber, dass Progesteron auch angstlindernd, entspannend, schmerzlindernd und schlaffördernd wirkt», erklärt die Gynäkologin, die sich auf Hormone spezialisiert hat.
Wenn also ab Mitte 30 das Progesteron zu sinken beginnt, entsteht ein Ungleichgewicht zwischen den beiden Sexualhormonen, die als Gegenspieler fungieren. In der Fachsprache ist von einem relativen Progesteronmangel und einer gleichzeitigen Östrogendominanz die Rede.
Für die Zeit kurz vor den Wechseljahren gibt es keinen offiziellen Namen. Einige verwenden «In Between», also «Dazwischen». Andere den Begriff «Prämenopause». Dieser steht aber für andere wie auch Susanna Weidlinger für die fruchtbaren Jahre seit der ersten Menstruation.
Gemeinsamkeiten der «In Between»-Frauen
Die «In Between»-Frauen haben eine Gemeinsamkeit: Sie alle menstruieren noch regelmässig. Aber wie bei Sue H. verändert sich diese Menstruation: Sie kann stärker oder schwächer werden oder auch kürzer oder länger als bisher.
Wie viele Frauen diese «In Between»-Phase so stark spüren wie Sue H., kann Susanna Weidlinger nicht sagen. Es gibt keine Zahlen dazu. Und ihr ist auch keine Forschung speziell zu dieser Übergangsphase bekannt.
Nachdem die Abklärungen beim Hausarzt keine Auffälligkeiten gezeigt hatten, vereinbarte Sue H. einen Termin bei ihrem Frauenarzt. «Er meinte, ich sei zu jung für Wechseljahresbeschwerden, als ich ihm von meiner Vermutung erzählte. Diese Symptome seien normal bei Spätgebärenden, sagte er, und ich müsse mich damit abfinden.»
Viele Ärzte haben diese Übergangsphase nicht auf dem Schirm. Man schickt die Patientinnen in Schlaflabore, zu Rheumatologen, Psychiatern oder in die Demenz-Abklärung.
Erst nach drei Anläufen und einem Ehemann, der zu einem Termin mitkam und die Beschwerden seiner Frau aus seiner Sicht beschrieb, lenkte der Frauenarzt ein und verschrieb ihr eine Hormonersatz-Therapie.
«Das höre ich oft von meinen Patientinnen», erklärt die Gynäkologin Susanna Weidlinger. «Viele Ärzte haben diese Übergangsphase nicht auf dem Schirm. Man schickt die Patientinnen in Schlaflabore, zu Rheumatologen, Psychiatern oder in die Demenz-Abklärung, aber denkt nicht an Wechseljahre.»
Schwierige Diagnose
Wie kann das sein? Susanna Weidlinger hat drei mögliche Erklärungen. Erstens sei die Diagnose dieser Übergangsphase tatsächlich schwierig zu stellen. Denn die Frauen menstruieren noch regelmässig. Und das Ungleichgewicht zwischen Östrogen und Progesteron lässt sich kaum im Blut nachweisen.
Zu diesem Punkt gehört auch, dass viele Frauen in dieser Lebensphase unter Mehrfachbelastungen leiden. Sie starten im Job durch, haben kleine oder pubertierende Kinder oder solche, die gerade ausziehen. Vielleicht erkranken die Eltern und der Mann gerät in eine Midlife-Crisis. «Es sind sicher nicht alle Probleme auf die Wechseljahre zurückzuführen», sagt Susanna Weidlinger, «aber ein Teil davon.»
Überfüllte Menopausen-Zentren
Zweitens werden Beratungsgespräche schlecht vergütet. «Für ein normales ärztliches Konsultationsgespräch können maximal zwanzig Minuten abgerechnet werden. Dazu gehört die Vor- und Nachbearbeitung, die Begrüssung und die Verabschiedung. Für ein ausführliches Gespräch, was es für die Diagnose bräuchte, bleibt kaum mehr Zeit.»
Wechseljahre wurden im Medizinstudium lange Zeit stiefmütterlich behandelt. Zum Glück hat sich das mittlerweile geändert.
Zwar gibt es spezielle Menopausen-Zentren wie das vom Inselspital Bern, wo Susanna Weidlinger arbeitet. Dort stehen für ein Erstgespräch 60 Minuten zur Verfügung. Aber: «Wir haben aktuell für Erstgespräche eine Wartezeit von zwölf Monaten.»
Susanna Weidlinger vermutet noch einen dritten Grund, warum viele Ärztinnen diese Übergangsphase nicht auf dem Schirm haben: «Wechseljahre wurden im Medizinstudium lange Zeit stiefmütterlich behandelt. Zum Glück hat sich das mittlerweile geändert.»
Vorbilder fehlen
Es hat viele Jahre gedauert, bis Sue H. eine Therapie gegen ihre frühen Wechseljahrbeschwerden verschrieben bekam. «Ich wäre so froh gewesen, wenn ich sofort gecheckt hätte, was mit mir los ist», sagt die heute 44-Jährige. «Mir wäre viel erspart geblieben.»
Sie betont, dass ihr die Vorbilder gefehlt hatten – Frauen, die offen über ihre Beschwerden rund um die Wechseljahre erzählen. «Ich hoffe, dass es meine Tochter in ein paar Jahren anders erlebt und weiss, was auf sie zukommen könnte.»