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Süsses, Schmerz, Stoffwechsel Ibuprofen: mehr als nur Schmerzstiller?

Schmerzmittel wie Ibuprofen könnten beeinflussen, wie wir Süsses auf der Zunge wahrnehmen und wie Zucker im Körper abgebaut wird – so eine neue Studie. Das lässt aufhorchen und lädt zu Spekulationen ein, vorerst aber bleibt Ibuprofen «nur» ein Schmerzmittel.

Vielleicht sind Sie heute mit Kopfweh aufgewacht und haben sich schnell ein Ibuprofen eingeworfen. Später, in der Znünipause, greifen Sie zum Schokoladenei. Doch Moment mal – schmeckt die Schokolade heute irgendwie anders? 

Etwas Ähnliches haben die Teilnehmenden einer aktuellen Studie erlebt. Denn Forschende aus den USA gingen der Frage nach, wie Schmerzmittel auf bestimmte Rezeptoren wirken.  

Schmerzmittel kombiniert mit Geschmackstests 

Im Experiment spülten 32 Probanden ihren Mund mit einer Ibuprofen-Lösung – ähnlich wie bei einer Mundspülung nach dem Zähneputzen. Danach probierten sie Zuckerlösungen und empfanden diese als weniger süss. 

Welche Mechanismen hinter dem Geschmacksphänomen stecken, das wollten die Forschenden der Rutgers University genauer verstehen. Deshalb prüften sie die Wirkung der Schmerzmittel Ibuprofen und Naproxen auch an menschlichen Geschmackssinneszellen im Labor.

Das Ergebnis: Beide Medikamente blockierten den Rezeptor mit dem Namen TAS1R2-TAS1R3. Eine mögliche Erklärung dafür, warum die Süsse im Mund weniger intensiv schmeckt.  

Ibuprofen und Naproxen – zwei gängige Schmerzmittel 

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Ibuprofen und Naproxen zählen zu den am häufigsten eingesetzten Schmerzmitteln, den sogenannten nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR). «In der Schweiz wird insbesondere Ibuprofen häufig verschrieben und ist in niedriger Dosierung rezeptfrei in Apotheken erhältlich», sagt Liechti. Beide Medikamente dienen der Linderung von Schmerzen, Entzündungen und Fieber. Während Ibuprofen oft bei Kopfschmerzen, Zahnschmerzen und Menstruationsbeschwerden eingesetzt wird, findet Naproxen Anwendung bei entzündlichen Erkrankungen wie Arthritis sowie bei Muskel- und Gelenkschmerzen. 

Ibuprofen und Naproxen sollten nur in empfohlener Dosierung eingenommen werden. Bei Vorerkrankungen empfiehlt sich eine Rücksprache mit der Ärztin oder dem Apotheker.

Die Forschenden gehen noch weiter: Ihrer Hypothese nach könnte die Blockierung dieses Rezeptors nicht nur die Süsswahrnehmung beeinflussen, sondern auch die Stoffwechselprozesse im Körper. Denn die TAS1R2-TAS1R3-Rezeptoren befinden sich nicht nur auf der Zunge, sondern auch im Darm, in der Bauchspeicheldrüse und im Fettgewebe. 

Ibuprofen gegen Diabetes, Krebs und Alzheimer? 

Wenn Schmerzmittel diese Rezeptoren blockieren, könnte das dazu führen, dass der Körper weniger Zucker aus dem Darm aufnimmt und weniger Insulin ausschüttet. Möglicherweise lagert er dadurch auch weniger Fett ein. 

Die Forschenden vermuten daher, dass dieser neu entdeckte Mechanismus erklären könnte, warum regelmässige Ibuprofen-Nutzende seltener an Diabetes, Alzheimer und einigen Krebsarten leiden. Allerdings gibt es bisher keine klinischen Belege, die diesen Zusammenhang tatsächlich bestätigen.

Das ist sehr spekulativ. Das sind reine Assoziationen ohne ursächliche Bezüge.
Autor: Matthias Liechti Chefarzt Klinische Pharmakologie und Toxikologie Unispital Basel

Dem schliesst sich Matthias Liechti an, Chefarzt der Klinischen Pharmakologie und Toxikologie am Universitätsspital Basel: «Das ist sehr spekulativ. Das sind reine Assoziationen ohne ursächliche Bezüge.»

Die Forschenden selbst betonen, dass die Ergebnisse mit Vorsicht zu betrachten sind. Es handelt sich um Grundlagenforschung, die unter Laborbedingungen durchgeführt wurde. «Die Studie zeigt noch keine Wirkung im Menschen nach Einnahme der Medikamente über mehrere Tage – nur im Reagenzglas und nach Mundspülung», resümiert Matthias Liechti. 

Ein weiteres Problem: Die Studie untersuchte nur gesunde Erwachsene – unklar bleibt, wie Menschen mit Stoffwechselerkrankungen oder anderen gesundheitlichen Problemen auf die Schmerzmittel reagieren.

Nebenwirkungen im Blick

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Schmerzmittel der Gruppe der nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) wie Ibuprofen können bei regelmässiger Einnahme erhebliche Nebenwirkungen verursachen. Dazu zählen Magen-Darm-Beschwerden wie Sodbrennen, Magenschleimhautentzündungen und Geschwüre.

Auch die Nieren können Schaden nehmen, da deren Durchblutung durch die Schmerzmittel beeinträchtigt werden kann. Zudem besteht bei hochdosierter und langfristiger Einnahme ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Probleme, etwa Herzinfarkt und Schlaganfall.

Schokolade ohne Süsse? 

Doch zurück zu den Schokoladeneiern: Würden die nach der Einnahme einer Ibuprofen-Tablette tatsächlich weniger süss schmecken? Das bezweifelt Matthias Liechti, Chefarzt der klinischen Pharmakologie und Toxikologie am Universitätsspital Basel. «Wir schlucken Medikamente bekanntlich meist und lassen die bitteren Pillen nicht im Mund», erklärt er. Der Effekt nach einer kurzen Mundspülung sei daher kaum auf die alltägliche Einnahme von Tabletten übertragbar. 

Süsses weniger intensiv – und dann mehr davon naschen? 

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Eine Überlegung bleibt offen: Wenn Schmerzmittel die Wahrnehmung von Süssem tatsächlich abschwächen würden, könnte das dazu führen, dass man mehr Süssigkeiten isst – um den gewohnten Geschmack zu erreichen. Dies würde den potenziell positiven Effekt auf den Stoffwechsel wieder aufheben. Bisher gibt es jedoch keine Daten dazu, und die Forschenden gehen in ihrer Studie nicht auf diese Frage ein.

Wissenschaftsmagazin, 05.04.2025, 12:40 Uhr

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