Antibiotika gegen Grippe? In die Röhre wegen unspezifischen Rückenschmerzen? Oder eine Prostatakrebs-Früherkennung mit dem sogenannten PSA-Test, ohne den Patienten über die beträchtlichen Risiken aufzuklären? Von all dem rät die grösste medizinische Fachgesellschaft der Schweiz – die Schweizerische Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin SGAIM – ab. Vor zwei Jahren starteten die Schweizer Allgemeinmediziner deshalb die «smarter medicine»-Kampagne. Das Herzstück bildet eine Liste mit fünf Interventionen rund um die Allgemeine Innere Medizin, die dem Patienten mehr Risiko als Nutzen bringen und deshalb vermieden werden sollen.
In den USA und anderen Ländern existieren solche Negativ-Listen schon länger. 2014 zog die SGAIM als erste Fachgesellschaft der Schweiz nach. Die anderen Schweizer Fachgesellschaften, von der Onkologie bis zur Kindermedizin, sollten dann folgen. So verlangte die Schweizerische Akademie der medizinischen Wissenschaften SAMW bereits 2012 in ihrem Positionspapier «Nachhaltige Medizin»: «Alle Fachgesellschaften erstellen eine Liste mit zehn Interventionen, die offensichtlich unnötig sind und daher nicht mehr durchgeführt werden sollten.» Denn, so das Positionspapier weiter: «Die Haltung ‹möglichst alles machen, und zwar möglichst sofort› sollte ersetzt werden durch die Haltung ‹genug machen, aber nicht zu viel›.» Bis heute hat jedoch keine weitere Fachgesellschaft eine eigene Liste mit überflüssigen Behandlungen erstellt. Eine Umfrage der SAMW bei den Fachgesellschaften zeigte: Das Erstellen einer Liste scheitert am Geld. Der finanzielle und administrative Aufwand sei besonders für kleine Fachgesellschaften zu gross.
Unverbindlicher Anhaltspunkt
Die Liste der Fachgesellschaft für allgemeine innere Medizin ist lediglich eine Empfehlung. Sie ist weder verbindlich, noch können fehlbare Ärzte sanktioniert werden. Es geht weniger darum, den Arzt in die Pflicht zu nehmen, als ihm vielmehr eine Grundlage zu liefern dafür, auch einmal einem Patienten die Stirn zu bieten, der beispielsweise Antibiotika bei einer Grippe verlangt. Und darum, diese Entscheidung dann auch gegenüber Ärzte-Kollegen rechtfertigen zu können. Zwar gibt es keine konkreten Zahlen, doch dass die auf der Liste aufgeführten Interventionen tatsächlich weniger verschrieben werden, muss zumindest bezweifelt werden. Denn die Anreize sind im Schweizer Gesundheitssystem so gelagert, dass alles bezahlt wird, was gemacht wird. Das wird sich kaum dadurch ändern, dass einige wenige Tests und Therapien von einer Fachgesellschaft nicht mehr empfohlen werden.
Die SGAIM veröffentlicht nächste Woche trotzdem eine zweite Liste. Diesmal mit fünf Interventionen, die im Spital zu vermeiden sind.