«Ich sehe jeden Tag bei meinen Patienten, was die Sonne mit unserer Haut anrichten kann», sagt Laurence Imhof, Oberärztin an der Dermatologischen Klinik des Universitätsspitals Zürich.
Für sie selber sind Sonnenbäder seit Jahren tabu. Ihre Tagescrème hat einen Lichtschutzfaktor.
Imhof erzählt von zwei Patienten, Zwillingen. Eine von ihnen sei kaum an der Sonne gewesen, die andere exzessiv. Es sei schockierend zu sehen, wie fortgeschritten die Hautalterung bei Letzterer sei.
Hautkrebs: häufigste Krebserkrankung
Auch etliche Patienten mit Hautkrebs gehen bei Laurence Imhof in der Klinik tagtäglich ein und aus.
Hautkrebs ist in der Schweiz die häufigste Krebserkrankung. Laut Bundesamt für Gesundheit sind jährlich rund 350 Todesfälle auf die Auswirkungen der Sonnenstrahlung zurückzuführen.
Umso überraschender, dass das Bundesamt für Gesundheit nicht mehr nur vor der Sonne warnt, sondern im Gegenteil auch empfiehlt, sie zuweilen ungeschützt zu geniessen.
Vitamin-D für Immunabwehr
Der Grund: Wenn wir die Sonne ständig meiden und uns zu sehr schützen, riskieren wir einen Vitamin-D-Mangel. Doch genau dieses Vitamin braucht unser Körper für den Aufbau von Knochen und Muskeln sowie zur Stärkung der Immunabwehr.
Produziert wird Vitamin D im Körper mithilfe der Sonne. Durch die UVB-Strahlung wird in der Haut eine Substanz, das 7-Dehydrocholesterin, in Vitamin D umgewandelt.
Das funktioniert jedoch nur, wenn die Haut ungeschützt der Sonne ausgesetzt ist. Sonnenschutz blockt die UVB-Strahlung und behindert damit die Bildung von Vitamin D.
Zehn Prozent über Lebensmittel
Man findet Vitamin D zwar auch in Lebensmitteln wie Eigelb, Lebertran, fetthaltigem Fisch oder alternativ in nahrungsergänzenden Vitamin-D-Supplementen. Doch unser Körper nimmt nur rund zehn Prozent des Bedarfs über Lebensmittel auf. Die grosse Arbeit macht also die Sonne.
Das Bundesamt für Gesundheit hat rechnerisch ermittelt, ob man lange genug an der Sonne sein kann ohne sich zu verbrennen, um die nötige tägliche Dosis Vitamin D zu erhalten.
Vitamin D wichtiger als angenommen
Das Resultat: Es ist möglich. Im Sommer genügen 10 Minuten in der Mittagssonne. Dazu reicht es, wenn Gesicht sowie Arme und Hände dem Sonnenlicht ausgesetzt sind.
Heike Bischoff-Ferrari, Professorin für Altersmedizin und Altersforschung des Universitätsspitals Zürich hat an den Empfehlungen mitgearbeitet. In ihren Augen ist Vitamin D vielleicht wichtiger, als bisher angenommen. Tatsächlich gibt es Hinweise, dass Vitamin D auch bei Darmkrebs, Demenz, multipler Sklerose oder Diabetes einen Einfluss haben könnte.
Alterungsprozess verlangsamen?
Bischoff-Ferrari arbeitet aktuell an einer grossanlegten europäischen Studie mit über 2000 Senioren. Die Studie soll Auskunft darüber geben, ob Vitamin D den Alterungsprozess verlangsamen kann. Etwa indem es das Gedächtnis verbessert oder das Herz-Kreislaufsystem länger gesund erhält.
Neben der Produktion von Vitamin D hat die Sonne auf unserem Körper noch einen anderen Effekt. Das Tageslicht setzt eine Art «Glücklich-Macher», genannt Beta-Endorphin, frei. Er entspannt uns, macht uns ausgeglichener und lindert sogar Schmerzen.
Winter-Depression
Dass es diesen Effekt tatsächlich gibt, spürt man vor allem im Winter, wenn wir zu wenig Sonne bekommen und deshalb zuweilen schlapp, müde und mitunter sogar depressiv sind.
Die Sonne hat also alles andere als nur ihre Schattenseiten. Wir brauchen sie. Am besten täglich. Aber keinesfalls in Form von langen Sonnenbädern. Ein paar Minuten reichen. So schadet sie uns nicht, sondern schützt.