Noch bevor ich in der Schlaf-Stätte eintrudelte, stellten sich für mich erste zentrale Fragen. Was soll ich ins Schlaflabor mitnehmen? Realistischer wäre aber die Frage gewesen, was ich ins Schlaflabor überhaupt mitnehmen darf. Denn zu viel Ablenkung ist verboten - die könnte nämlich meinen Schlaf beeinflussen.
Elektronisches Entertainment wie zum Beispiel mein Laptop muss also zuhause bleiben. Wäsche zum Umziehen ist ebenfalls überflüssig: Mein Zimmer - rund drei auf vier Meter - darf ich während den kommenden 48 Stunden nur für den Gang zur Toilette verlassen. Ich entscheide mich also für ein Pyjama und viel Lesestoff. Eine gute Wahl, denn das Zimmer hat auch weder TV noch Fenster, um die Aussenwelt zu beobachten. Denn auch Tageslicht beeinflusst den Schlaf und könnte ein Spielverderber für die Studienresultate sein.
Das gedimmte Dämmerlicht reicht gerade so zum Lesen.
Fadenkreuz auf der Stirn
Bevor ich für den wissenschaftlichen Zweck schlafen gehen darf, werde ich verkabelt. Mit Messband und rotem Filzstift markiert der hoch konzentrierte, nette Wissenschaftler pingelig genau die richtigen Positionen für die Elektroden an meinem Kopf. Ein Fadenkreuz auf der Stirn? Langsam kommt mir die Sache etwas schräg vor. Fürs Dekolleté, Füsse und Hände gibt’s dann noch Temperatur-Messsonden. Alles in allem hängen schliesslich rund 20 Kabel an mir und ich fühle mich wie ein mit Lametta behängter Weihnachtsbaum.
Wie um Himmels Willen soll ich so einschlafen?
Nach einem Blitz-Dinner in meinem grauen Kämmerchen ist es Zeit für die Nachtruhe - wie bei mir zu Hause üblich, soll um 23 Uhr das Licht ausgehen. Da ich jeweils versuche acht Stunden Schlaf zu kriegen, würde das Licht dann am Morgen um sieben Uhr automatisch wieder angehen.
Als letzten Akt wollen die Wissenschaftler von mir noch eine Speichelprobe, den aktuellen Blutdruckwert und ein Wach-EEG – dieses misst die elektrische Aktivität meines Gehirns. Tja, sehr aktiv fühlt es sich nicht mehr an.
Ratternde Züge, zirpende Grillen, surrende Mücken
Kaum habe ich es mir im Bett bequem gemacht (erstaunlicherweise stören mich die vielen Messpunkte und Kabel am Kopf kaum), geht das Licht aus. Und schon startet das Soundfile, das meinen Schlaf stören soll.
Ein Güterzug rattert vorbei. Er entlockt mir ein Schmunzeln. Viel leiser höre ich Grillen zirpen, und vor meinem inneren Auge stelle ich mir eine Sommerwiese vor: Schmetterlinge fliegen von Blume zu Blume und die Sonne zaubert tolle Farben in die Landschaft. Schön. Fast beruhigend.
Die Idylle wird dann plötzlich von einem zweiten Zug gestört - bilde ich mir das nur ein, oder war der lauter als der erste? Egal, ich versuche einzuschlafen. Aber was ist das? Eine Mücke?! Haben die Wissenschaftler tatsächlich eine fiese, markdurchdringend surrende Stechmücke ins Soundfile integriert? Ich hasse dieses Geräusch! Zum Glück rauscht schon wieder ein Zug durchs Zimmer.
Nach gefühlten vier Stunden schlafe ich endlich ein. Nach weiteren gefühlten zwei Stunden geht das Licht an. Was? Schon Morgen? Ich fühle mich mies. Gerädert. Erst zwei Tage später erfahre ich von den Wissenschaftlern, dass ich gemäss den Aufzeichnungen bereits nach 40 Minuten eingeschlafen war und den Schlaf zu immerhin 85 Prozent ausgenutzt hatte. Angefühlt hat es sich für mich jedenfalls anders.
Anders ist auch das Frühstück. Keinen Kaffee? Was für eine Frage - natürlich nicht. Koffein würde natürlich meinen Schlaf beeinflussen. Ich komme mir vor wie ein geschlagener Pudel und stochere lustlos im Joghurt herum.
In sehr regelmässigen Abständen muss ich nun den ganzen Tag über immer wieder Speichelproben abgeben (was sich anfühlt wie Kauen auf einem unbenützten Tampon), Blutdruck messen, für Wach-EEGs still auf dem Bett sitzen (drei Minuten lang einen Punkt an der Wand fixieren) und Reaktions- und Intelligenztests machen. Was anfangs interessant ist, wird von Stunde zu Stunde langweiliger.
In meinem Buch komme ich zügig voran.
Ein bisschen Lärm wäre willkommen
Der Tag geht kaum vorbei. Als sportlicher Mensch fehlt mir schon nach einem Tag die Bewegung. Auch das Tageslicht vermisse ich. Gerüche und Geräusche auch. Ja, ein bisschen Lärm wär jetzt eigentlich ganz angenehm: Stimmengewirr zum Beispiel, Blätterrauschen, das Plätschern eines Bachs, Hundegebell, Kuh- oder Kirchenglocken. Egal. In meiner grauen Kammer höre ich nur meinen Atem.
Und plötzlich die ermahnende Stimme einer Wissenschaftlerin «Frau Allemann, Sie schlafen aber nicht ein, oder!?».
Aha, Big Brother is watching me. Nach einem sehr unspektakulären Tag ist wieder Nacht. Und diese Nacht schlafe ich gut, höre nur einmal den Zug und keine Mücke mehr. Die sei übrigens echt gewesen, erklärt mir der Studienleiter tags darauf.
Wie sich Studenten - zwar für gutes Geld - so etwas freiwillig eine Woche lang antun können, ist mir schleierhaft. Nach 48 Stunden bin ich doch sehr froh, wieder ins normale Leben zurückkehren zu können. Nicht wegen dem nächtlichen Lärm, sondern wegen der Monotonie in der für mich gefängnisähnlichen Einrichtung.
Als erstes gönne ich mir einen Kaffee.
Draussen an der Sonne.
Herrlich.