Der offene Rücken (Spina bifida) ist ein embryonaler Defekt, der rund 1 auf 2000 Neugeborene betrifft. Die Ursache ist nicht restlos geklärt und dürfte auch eine genetische Komponente haben, allerdings spielt ein Mangel des Spurenelements Folsäure eine entscheidende Rolle: Nimmt die Mutter noch vor Schwangerschaftsbeginn täglich Folsäure zu sich, kann das Risiko einer Spina bifida stark gesenkt werden.
In manchen Ländern, darunter die USA, werden deshalb Getreideprodukte obligatorisch mit Folsäure angereichert. Eine gezieltere Empfehlung zur Vorbeugung lautet: Alle Frauen mit Kinderwunsch oder gar im gebärfähigen Alter sollten täglich 0,4 mg Folsäure pro Tag einnehmen – dies, weil der Defekt in der ganz frühen Phase der Schwangerschaft entsteht, oft noch vor dass die Schwangerschaft überhaupt bemerkt wird.
Schwere körperliche Behinderung
Ende des ersten Schwangerschaftsmonats sollten sich die embryonalen Neuralleisten zu einem Rohr verschlossen haben, aus dem später die Wirbelsäule entsteht. Unterbleibt dieser Verschluss auf irgendeiner Höhe, fehlen in diesem Bereich die hinteren Anteile der Wirbelkörper.
In vielen Fällen bleibt das folgenlos und wird irgendwann im Leben zufällig entdeckt (Spina bifida occulta). In anderen Fällen stülpen sich jedoch Hirnhäute und Rückenmark durch die Lücke im Knochen vor und liegen ungeschützt, teils nicht einmal mit Haut bedeckt.
Wie stark die körperliche Behinderung des Kindes wird, hängt von zahlreichen Faktoren ab, am wichtigsten ist wahrscheinlich die Lage, Art und Grösse des Defekts. Selbständiges Laufen ist allerdings sehr selten möglich, auch die Funktion von Blase und Darm in den allermeisten Fällen gestört.
Zudem braucht es im Grossteil der Fälle eine Operation um einen Wasserkopf und damit einhergehende geistige Behinderung zu verhindern, denn durch den Defekt im Rücken kann das Hirnwasser nicht richtig ablaufen. Ein operativ angelegter Schlauch verbindet dann zeitlebens die Hirnhöhlen mit der Bauchhöhle und kann seinerseits zu Komplikationen und Reoperationen führen.
Mit den heutigen Therapiemethoden ist jedoch der überwiegende Teil der Spina bifida-Patienten normal intelligent und ins Leben integriert, wenn auch zeitlebens auf pflegerische Massnahmen angewiesen.
Enges Zeitfenster für die Operation
Allerdings weiss man heute: ein beträchtlicher Teil des Schadens entsteht erst im Verlauf der Schwangerschaft durch Einwirkung des Fruchtwassers und mechanischer Reize auf das schutzlose Rückenmark. Daher die Logik: je früher operieren umso besser, statt den Schaden bis zur Geburt seinen Lauf nehmen zu lassen.
Ende der 90er-Jahre begannen deshalb Ärzte in Amerika erstmals, den offenen Rücken bereits am menschlichen Fötus zu operieren. Die Operation wird nur dann durchgeführt, wenn die Mutter völlig gesund ist, und wenn das Kind keine weiteren Fehlbildungen hat. Auch das Zeitfenster, in dem die Operation durchgeführt werden kann, ist beschränkt auf die 20. bis 26. Schwangerschaftswoche. Davor ist das Gewebe noch zu unstabil, danach ist der Rückenmarksschaden meist schon zu gross. Zudem toleriert die Gebärmutter den Eingriff je später desto schlechter und wird somit das Risiko auf eine Frühgeburt immer grösser.
Eine Frühgeburt zu verhindern ist denn auch beim zeitigen Eingriff einer der grössten Knackpunkte. Bereits während der Operation muss dazu die Narkosetiefe sehr tief gewählt werden – beim geringsten Schmerz zieht sich die Gebärmutter zusammen und es kann fürs Baby kritisch werden.
Nach der Operation bleibt die Mutter mindestens fünf Wochen im Krankenhaus unter ständiger Überwachung und medikamentöser Wehenhemmung. Je nach Verlauf kann sie danach heim, um kurz vor dem errechneten Geburtstermin für einen Kaiserschnitt wieder ins Spital zu kommen. Meistens kommen die Babys aber einige Wochen zu früh auf die Welt.
Echte Heilung ist selten
Vorab gesagt: eine völlig normale Entwicklung der Kinder ist in aller Regel nicht zu erwarten. Die Wahrscheinlichkeit einer gestörten Blasen- und Darmentleerung liegt mit 80 Prozent ebenso hoch wie bei Kindern mit offenem Rücken, die erst nach der Geburt operiert wurden. Auch ist selbständiges Laufen nicht garantiert: Mit 30 Monaten laufen nur 40 Prozent der im Mutterleib operierten Kinder ohne Hilfsmittel. Allerdings: ohne Operation sind es nur halb so viele.
Und bewertet man eine Vielzahl von körperlichen und geistigen Funktionen, schneiden vorgeburtlich operierte Kinder durchs Band eindeutig besser ab. Wenn auch kein Garant für ein behinderungsfreies Leben, ist diese Operation also vor allem eins: die bestmögliche Chance, die man dem Kind auf ein Leben mit so wenig Behinderung wie machbar geben kann.