Sie fliessen in Strömen: auf dem Spielfeld, auf der Ersatzbank, auf den Zuschauerrängen, vor dem Fernseher. Freudentränen haben derzeit Hochkonjunktur. Wie kommt's dazu?
Grundvoraussetzung ist das Gefühl von Überwältigung, das so stark ist, dass der Körper auf sein deutlichstes Ausdrucksmittel zurückgreift: die Tränen. Das ist zumindest die Theorie von Ad Vingerhoets, der an der Abteilung für Klinische Psychologie der holländischen Universität Tilburg zum Thema forscht. Er hat Menschen gebeten, die Umstände zu beschreiben, die sie das letzte Mal zum Weinen gebracht haben. Die Gründe waren entweder etwas, worüber sie sich aufgeregt haben, das Gefühl von Ohnmacht, Traurigkeit oder Machtlosigkeit. Männer weinten im Schnitt einmal in zwei Monaten, Frauen durchschnittlich zwei- bis viermal pro Monat – meist länger und aus anderen Gründen: Besonders häufig vergossen sie Tränen der Hilflosigkeit. Männer dagegen weinten eher aus Rührung oder Stolz.
Hilflos glücklich
Ad Vingerhoets folgert daraus: Übermannt sein von Glückgefühlen ist dabei prinzipiell nichts anderes als Machtlosigkeit den starken Gefühlen gegenüber. Die «Weinschwelle» ist individuell verschieden, deutlich sind auch nationale Unterschiede erkennbar. Schweizer Männer beispielsweise geben sich relativ lang stoisch, bevor erste Tränen fliessen. Noch standhafter sind in einer internationalen Untersuchung nur Malaysier, Polen und Isländer. Besonders nah am Wasser gebaut sind Italiener, Türken oder Brasilianer. Ob diese Ergebnisse repräsentativ sind, lässt sich dank der nur etwa 100 Teilnehmer pro Nation allerdings schwer sagen.