Ein Klassenzimmer in der Westschweizer Gemeinde Torny-le-Grand im Winter 2022. Die Luft ist dünn und aufgebraucht. Was in dieser Luft herumschwebt, untersuchen Joëlle Goyette Pernot und ihr Team von der Hochschule für Ingenieurwesen und Architektur in Fribourg.
Schlechte Innenraumluft in Schulen
Vor allem in Schulen spielt die Innenraumluft eine grosse Rolle, so die Aerobiologin Goyette: «Schlechte Luftqualität kann auf Kinder beispielsweise eine einschläfernde Wirkung haben, sie schränkt ihre Lernfähigkeit ein. Je nachdem, welche Schadstoffe vorhanden sind, kann es zu deutlicheren Auswirkungen insbesondere auf das Atmungssystem kommen.»
Deshalb starteten Goyette und ihr Team ein Forschungsprojekt namens «SCOL’AIR-FR» und führten Messungen in rund 50 Schulzimmern in der Westschweiz durch. Bei den Messungen wurde zwischen natürlicher Belüftung (Lüften) und mechanischer Belüftung (Lüftungsanlagen) unterschieden.
Lüftungsverhalten so schlecht, wie vor der Pandemie
Das Ergebnis der Untersuchungen: Die Qualität der Luft in natürlich belüfteten Schulzimmern ist schlechter. Vor allem im Winter war die CO₂-Konzentration in natürlich belüfteten Schulzimmern sehr viel höher als in Klassenzimmern mit Lüftungsanlagen. Doch auch bei Klassenzimmern mit Lüftungsanlagen gibt es Probleme. Es werde viel zu häufig und stark belüftet. Dies führe dazu, dass vor allem im Winter die Luft in den Klassenzimmern zu trocken sei. So trocken, dass sich auch Viren leichter verbreiten können.
Neben Viren können sich CO₂, Feinstaub, Schimmelsporen oder auch Chemikalien aller Art in der Luft ansammeln. Ein unsichtbares Gemisch – und langfristig womöglich verantwortlich für Krankheiten wie Asthma oder Krebs. Goyette sieht dringenden Handlungsbedarf.
Es braucht gesetzlich bindende Rahmenbindungen
Auch die WHO erkennt die Dringlichkeit des Themas. In Bern fand deshalb die erste internationale WHO-Tagung zur Qualität der Innenraumluft statt - mit dabei auch Joëlle Goyette Pernot. Ihre Kolleginnen und Kollegen vor Ort fordern das gleiche wie sie: Es brauche unbedingt gesetzlich bindende Rahmenbedingungen für die Qualität der Innenraumluft. In Belgien sei dies bereits der Fall, sagt Hans Kluge, der Vorsitzende der WHO für das Regionalbüro Europa.
Wir müssen das Unsichtbare sichtbar machen.
In der Schweiz gibt es nur für das radioaktive Gas Radon einen gesetzlich-bindenden Schwellenwert. Der Gehalt von anderen Schadstoffen in der Innenraumluft wird nicht gesetzlich geregelt. Was wäre der erste Schritt? Die Professorin für Gebäude-Umwelttechnik – Catherine Noakes – sagt, was auch viele andere am Kongress denken: «Wir müssen das Unsichtbare sichtbar machen» und so das Thema wieder ins Bewusstsein der Gesellschaft bringen.
Nichts gelernt aus der Covid-Pandemie
Joëlle Goyette Pernot zeigt sich zufrieden, dass das Thema nun breiter diskutiert wird. Ihr Forschungsprojekt an den Schweizer Schulen zeigt aber deutlich, Diskutieren alleine nicht hilft: «Leider verfiel man schnell wieder in alte Gewohnheiten und die Lehren aus der Covid-Pandemie zeigen heute nur noch wenig Wirkung». Solange es keine klaren gesetzlichen Vorgaben gibt, bleibt nicht viel anderes übrig als Lüften, Lüften, Lüften.