Hagelkörner, so gross wie Tennisbälle, können Windschutzscheiben durchschlagen. Das passiert zwar selten in der Schweiz, aber es kommt vor. Allein der jährliche Schaden an Gebäuden liegt hierzulande durchschnittlich bei fast 100 Millionen Franken, Tendenz steigend. Mit der Klimaerwärmung wird es bei uns mehr Gewitter und Starkniederschläge geben, da ist sich die Wissenschaft sicher. Gibt es also auch mehr Hagel?
«Feuchtigkeit und Wärme ist wie Benzin für Gewitter»
«So einfach lässt sich das nicht sagen», sagt Olivia Romppainen. Sie ist Meteorologin an der Universität Bern und beschäftigt sich seit zehn Jahren intensiv mit Hagelereignissen.
Hagel entsteht im Aufwind von Gewitterwolken. In fünf, sechs Kilometern Höhe wandeln sich Wassertröpfchen in der Kälte zu Eiskristallen und in den starken Aufwinden sammeln sie immer mehr unterkühlte Wassertröpfchen ein. «Die Hagelkörner werden grösser und grösser, bis sie vom Aufwind nicht mehr getragen werden», erklärt Romppainen, «dann fallen sie runter». Die zunehmende Feuchtigkeit und Wärme sei «wie Benzin für Gewitter», sagt die Forscherin. Dies spricht also für mehr Hagel.
Beim Runterfallen schmilzt Hagel wieder weg
Doch mit der Klimaerwärmung steigt auch die Null-Grad-Grenze in der Höhe. Das heisst, die runterfallenden Hagelkörner können eher wieder schmelzen, bevor sie auf dem Boden aufschlagen. Dies spricht gegen eine Zunahme des Hagels.
Nun haben kleinere Hagelkörner im Verhältnis zu ihrem Volumen eine grössere Oberfläche als grosse Körner. Sie schmelzen also schneller. Mit der Klimaerwärmung dürfte es unter dem Strich also weniger Hagelereignisse mit kleinen, aber mehr mit grossen Hagelkörnern geben. «Aufgrund unseres heutigen Wissens erwarten wir das so», sagt Romppainen.
Nachweis am Boden fehlt noch
Nachgewiesen ist diese Entwicklung in der Schweiz noch nicht. Erst seit vier Jahren stehen hierzulande 80 automatisierte Messstationen, welche die Grösse der Hagelkörner am Boden genau vermessen.
In Frankreich, wo in Weinbaugebieten die Hagelkorngrösse seit Jahrzehnten gemessen wird, zeichne sich diese Tendenz bereits ab, sagt Romppainen. Auch erste Resultate einer Forschungsgruppe der ETH Zürich gehen in diese Richtung. Ihre aufwändigen Modellsimulationen am Supercomputer deuten auf weniger Hagelereignisse, dafür solche mit grösseren Hagelkörnern. Die Resultate sind aber noch im wissenschaftlichen Peer-Review-Prozess. Sie müssen also noch durch unabhängige Forschende begutachtet und geprüft werden.
Schadenhöhe hängt nicht nur vom Hagel ab
Grössere Hagelkörner hätten Folgen, sagt Romppainen. «Denn grössere Körner verursachen definitiv mehr Schäden.» Doch auch hier gilt es, andere Faktoren mitzuberücksichtigen. So haben die Hagelschäden in den letzten Jahren zwar zugenommen, dies hat aber auch damit zu tun, dass es immer mehr und teurere versicherte Werte gibt. Je mehr Häuser und teure Autos herumstehen, umso grösser wird der Schaden bei einem Hagelzug.
Unterm Strich dürfte es durchaus mehr Schäden geben, wegen der grösseren Hagelkörner. Wie viel mehr ist aber noch offen. Denn obwohl die Hagelforschung grosse Fortschritte gemacht hat, gibt es noch einige offene Fragen. Eine der wichtigsten: «Inwiefern verändern sich auch die Prozesse der Hagelbildung in den Gewitterwolken selber?», so Romppainen «Aber auch das wissen wir noch nicht.»