Zum Inhalt springen
Audio
Digitale Inklusion: Was bringt KI?
Aus Digital Podcast vom 01.11.2024. Bild: Imago Images / Depositphotos
abspielen. Laufzeit 40 Minuten 36 Sekunden.

Barrierefreiheit Schafft KI den Durchbruch für Menschen mit Behinderung?

Startups vermarkten KI-basierte Lösungen für Menschen mit Behinderung und versprechen eine Revolution.

Ein blinder Mann steht vor dem Buckingham-Palast und lässt sich vom Smartphone die Umgebung beschreiben. «Ist der König anwesend?», fragt der Mann sein Handy. «Ja», antwortet das Gerät, «das sieht man daran, dass die Fahne auf dem Palast gehisst wurde.» 

Eine sehbehinderte Frau, ausgerüstet mit einer speziellen Brille, betritt ein Lebensmittelgeschäft und nimmt ein Glas aus dem Gestell. Die Brille liest vor, was auf dem Etikett steht.

Accessibility Discovery Center (ADC)

Box aufklappen Box zuklappen

Google hat im Mai dieses Jahres beim Bahnhof Zürich einen Raum eröffnet, wo Menschen mit und ohne Behinderungen gemeinsam an der Entwicklung barrierefreier Technologien und inklusiver Produkte arbeiten und sich austauschen können. 

Gezeigt werden Lösungen für Menschen mit unterschiedlichen Einschränkungen, so etwa ein Eye-Tracker, der die Maus ersetzt für Menschen, die ihre Hände nicht bewegen können oder ein Löffel, der immer waagrecht gehalten wird für Menschen mit einem Tremor. 

Mit solchen Videos werben Startups  wie «Be My Eyes» oder «EnvisionGlasses» für revolutionäre Hilfsmittel für sehbehinderte Menschen und versprechen ein neues Zeitalter der Unabhängigkeit dank künstlicher Intelligenz. 

Grosse Versprechen 

Doch René Jaun, Technologie-Journalist beim Schweizer Magazin «Netzwoche», ist skeptisch. Seine Erfahrungen als blinder Mensch mit vermeintlich bahnbrechenden Hilfsmitteln waren oft ernüchternd. Viele neue Geräte hat er sich gekauft – jedes Mal wurde er enttäuscht: «Die Geräte hielten nicht annähernd das Versprechen.» 

Mann mit Brille hält Smartphone vor Augen
Legende: Hilfe für Menschen mit eingeschränktem Sehen: Das Smartphone beschreibt die Umgebung. Be My Eyes

Er findet es grundsätzlich gut, dass Unternehmen versuchen, die neue KI-Technologie für Menschen mit Behinderung einzusetzen. Er nutzt bereits eine KI-basierte App, die Texte vorlesen kann. Eine wertvolle Hilfe – so lange sie einwandfrei funktioniert: Die App verwechselte auch schon Kopfwehtabletten mit Fusspilzcreme. 

Es gibt noch viel zu tun

Bevor Sehbehinderte im Alltag neuartige Brillen oder Apps, welche die Umgebung beschreiben, zuverlässig nutzen können,  gibt es noch einige Probleme zu lösen. Die KI verstehe nicht, in welchem Kontext sie gerade genutzt wird, erklärt Sarah Ebling, die als Professorin für Computerlinguistik an der Universität Zürich selber an Barrierefreiheit forscht. Die KI beschreibe Dinge, die im Moment nicht relevant sind und vom Wesentlichen ablenken. An einer Lösung werde geforscht. 

SRF Thema «KI und wir»

Box aufklappen Box zuklappen
Schrift «SRF Thema: KI & WIR» vor bunter Fantasiewelt
Legende: SRF

Künstliche Intelligenz ist eine technische Revolution, die das Potenzial hat, unser Leben so tiefgreifend zu verändern, wie es das Internet und Smartphones getan haben. SRF setzt sich proaktiv mit diesem hochaktuellen Thema auseinander und rückt es vom 17. bis 24. November 2024 in den Programmfokus. Im Zentrum steht die Frage «Was kann KI wirklich und was machen Menschen in der Schweiz damit?»

Finden Sie es heraus – auf www.srf.ch/ki

Ein weiteres Problem sieht die Wissenschaftlerin im «Halluzinieren». Die KI merkt nicht, dass sie überfordert ist, und plaudert einfach weiter – und verwechselt so schon einmal zwei Medikamente. Auch an einer Lösung dieses Problems werde geforscht, so Sarah Ebling. 

Das Smartphone, die stille Revolution 

Digitale Technologie hat durchaus einen grossen Nutzen für Menschen mit Behinderung. Doch die wirklich bahnbrechende Erneuerung wurde gar nicht gross angekündigt, sagt René Jaun und meint damit das Smartphone.   

«Vor 20 Jahren noch hatte ich Angst vor Touchscreens», erinnert sich der Technologie-Enthusiast. Es war für ihn unvorstellbar, dass eine blinde Person einen Bildschirm mit Gesten bedienen kann. Das änderte sich 2009 mit dem iPhone 3GS. Zum ersten Mal lieferte Apple ein Gerät mit Software aus, die Sehbehinderten Texte auf dem Bildschirm vorlesen kann. Von da an konnten auch blinde Menschen im Laden ein Handy kaufen und es zu Hause ohne Hilfe einrichten – fast wie ein Sehender, erzählt René Jaun. 

Die sogenannten Screenreader auf iPhone und Android ermöglichen sehbehinderten Menschen den Zugang zu gängigen Apps – und damit zu einer ganz neuen Welt: René Jaun hat gerade beruflich eine Reise zu einer Konferenz in den USA gebucht. Danach erkundet er die USA in den Nachtzügen – alleine.

Radio SRF 3, 05.11.2024, 8:10 Uhr

Meistgelesene Artikel