Der siebenjährige Jonas hat Leukämie. Immer wieder muss er für Chemotherapien ins Kinderspital und ist über Wochen von seinen Klassenkameraden und Freunden getrennt. Doch nun ist das anders, denn der Roboter Nao geht für ihn in die Schule.
Am Kopf von Nao ist ein Smartphone angebracht, über das Jonas sich ins Klassenzimmer schalten kann. Er selbst steuert den Roboter mit einem Tablet. Mit Nao kann Jonas im Unterricht aufstrecken, mit dem Kopf schütteln und auch seine Aufgaben werden live in den Klassenraum übertragen.
Der technikbegeisterte Jonas ist ganz angetan von seinem neuen Stellvertreter und freut sich, dass er am Unterricht teilnehmen kann. Dass es dazu kommen konnte, ist unter anderem Conrad Müller zu verdanken, dem Vorsitzenden der Geschäftsleitung des Universitäts-Kinderspitals beider Basel. «Einstein» traf ihn zum Interview.
«SRF Einstein»: Herr Müller, was hat Sie für Nao eingenommen?
Conrad Müller: Wenn Kinder lange krank sind, passiert es häufig, dass sie von ihren Klassenkameraden vergessen werden. Das ist die kindliche und jugendliche Welt, die sehr schnell ist. Für die kranken Kinder ist das sehr schwierig, weil sie dem einfach ausgeliefert sind. Mit dem Roboter als Brückenbauer könnte das verhindert werden, deshalb war ich sehr angetan, als die Projekt-Initiatoren von Kindercity auf mich zukamen. Das Kind soll aus der Opferrolle herauskommen. Es soll zum «Täter» werden, also wieder dabei sein, im Unterricht aufstrecken und etwas beitragen können. Mithilfe des Roboters könnte es sogar spicken!
Sie kennen die Kinder, die sehr krank sind und auf der Krebsstation sind – wo könnte der Roboter ihnen am besten helfen?
Er soll helfen, die Widerstandsfähigkeit der Kinder zu unterstützen. Aber nicht nur der Kinder, sondern des ganzen Umfelds. Das nennt man heute Resilianz: dass man positiv mit der Situation umgeht und dass die Kinder weiterhin in ihrem sozialen Netzwerk bleiben können.
Kann so ein Roboter die Heilungschancen eines schwerkranken Kindes verbessern?
Viel Erfahrung haben wir noch nicht sammeln können. Jonas ist der erste mit einem Avatar in der Schule. Aber ich denke, dass es den Heilungsprozess unterstützt, gerade bei längeren Krankenhausaufenthalten. Bei kleineren Kindern ist es zudem eine riesige Ablenkung, weil Nao ein niedliches Spielzeug ist.
Jonas' Avatar hat seinen ersten Schulbesuch bereits hinter sich und die Mitschüler haben positiv reagiert. Wie geht es weiter?
Bisher ist alles super gegangen. Die Kinder in der Schule haben Jonas‘ Roboter extrem gut aufgenommen. Nun muss es zur Normalität werden, dass der Roboter im Klassenzimmer ist und ihn ein Kind daheim am Tablet bedient. Erst dann ist er ein aktives Klassenmitglied.
Gibt es ein Problem mit der Akzeptanz?
Wir wissen es noch nicht genau. Wichtig ist, dass im Klassenzimmer trotz Avatar Normalbetrieb läuft, sonst wird es schwierig für die anderen Kinder; die dürfen nicht darunter leiden. Es wäre sicherlich ein Problem, wenn es hiesse: «Heute ist der Roboter da», und die ganze Klasse schaute nur noch auf ihn.
Was, wenn es nicht klappt, wäre das für Jonas nicht schlimm?
Für Jonas ist das momentan schon ein grosses Abenteuer. Er ist begeistert und hat seinem Roboter sogar einen Namen gegeben – Jonao – eine Mischung aus Jonas und Nao. Es gab sicher Momente, in denen er seine Krankheit vergessen hat. Wenn es nicht klappen sollte, wird die Familie sehr wichtig sein und auch wir sind natürlich da. Aber die Hoffnung ist natürlich immer, dass Nao eines Tages geht und das Kind zurück in die Schule kommt.
Wird in Zukunft jedes schwer kranke Kind mit einem Avatar in der Schule vertreten sein?
Nein, natürlich nicht. Aber es werden in Zukunft viele neue Roboter dazukommen, da bin ich sicher. Für uns ist es ganz wichtig zu lernen, was es für ein Umfeld braucht, damit es funktioniert. Wir haben es mit einem schwerkranken Kind zu tun. Da steht eine Familie dahinter. Der Roboter darf nicht zur Belastung werden. Wir müssen beurteilen können, wenn es für eine Familie nicht das Richtige ist oder das Kind einfach nicht will. Vielleicht fühlt es sich zu krank dafür und braucht mehr Zeit für sich. All das müssen wir jetzt lernen. Wir müssen beurteilen können, wo der Roboter die Resilianz des Kindes und der Familie stärken kann und wo es eher umgekehrt ist. Und dann kann es irgendwann zur Normalität werden, dass wir so etwas anbieten.