Das Wichtigste in Kürze:
- Zahlreiche Befragungen zeigen schon länger: Männer sind eher bereit als Frauen, auf Mädchenbeschneidungen zu verzichten.
- Doch das Klischee, dass Mädchenbeschneidung vor allem im Interesse der Männer liege, hält sich hartnäckig – selbst in Fachkreisen.
- Für viele Männer sind Bildung oder ein unversehrter Körper wichtiger für ein sicheres Leben ihrer Töchter als deren Beschneidung.
Eine unerwartete Antwort
«Sind Sie dafür, dass die Praxis der Mädchenbeschneidung abgeschafft werden soll?» Auf diese Frage antworten Männer und Frauen unterschiedlich.
Aber nicht so, wie man es gemeinhin erwarten würde. In nahezu allen Befragungen sind die Männer eher bereit, von dieser Tradition in ihrer Kultur zu lassen als die Frauen.
Resultate in Fachkreisen kaum beachtet
Diese Daten seien schon eine Weile bekannt, sagt Bettina Shell-Duncan. Die Anthropologin der University of Washington in Seattle ist eine der bekanntesten Forscherinnen im Bereich der Mädchenbeschneidung
Sie stellt ernüchtert fest: «Diese Resultate haben bisher in Fachkreisen kaum Beachtung gefunden.» Entsprechend wenig werde die Aufgeschlossenheit der Männer in Kampagnen gegen die weibliche Genitalbeschneidung genutzt.
Ein Klischee hält sich hartnäckig
Warum dies so ist? Bettina Shell-Duncan stellt fest, dass diese Tatsache schlicht dem Klischee widerspreche, wonach die Praxis der Mädchenbeschneidung allein im Interesse der Männer sein könne. Das Klischee nämlich, die Männer wollten damit Frauen unterjochen und deren Sexualität kontrollieren.
Selbst Forschende und Vertreter von Nicht-Regierungsorganisationen hielten an diesem Vorurteil fest, sagt Shell-Duncan. Daher würden Männer kaum als Ressource genutzt im Kampf gegen die weibliche Genitalbeschneidung.
Beschneidung liegt in Frauenhand
Zweifellos seien Frauen in diesen Gesellschaften – von West- bis Ostafrika, vom Irak bis Indonesien – benachteiligt und müssten gestärkt werden. Doch sei die Mädchenbeschneidung ein «Women's Business» und liege fest in Frauenhand.
Das bestätigt auch Elizabeth Leahy-Madsen, die für das US-amerikanische Population Reference Bureau die jüngsten Zahlen aus Afrika ausgewertet hat:
«Es sind die Frauen, die die Tradition weitergeben. Frauen organisieren die Beschneidungen. Frauen führen die Beschneidung durch. Frauen halten die Mädchen dabei fest und überwachen danach die Wundheilung.» Vor allem aber seien es die Frauen, die den Entscheid fällen, ob ein Mädchen beschnitten wird oder nicht.
Schule und Gesundheit sind wichtiger
Bei diesen Diskussionen innerhalb der Grossfamilie seien die Männer nur selten anwesend, sagt Bettina Shell-Duncan. Wenn aber ausnahmsweise Männer mitreden, dann falle der Entscheid häufiger gegen die Beschneidung der Mädchen aus. Das hätten zum Beispiel ihre Studien in Gambia gezeigt.
Viele Männer betrachten die Beschneidung ihrer Töchter nicht länger als Voraussetzung für eine gute Heirat und ein sicheres Leben.
Sie sehen, dass andere Faktoren wichtiger sind für eine sichere Zukunft: zum Beispiel eine gute Schulbildung oder ein unversehrter Körper – ohne gesundheitliche Beschwerden und Risiken als Folge der Beschneidung.
Männer als Verbündete betrachten
Bettina Shell-Duncan und Elizabeth Leahy-Madsen sind sich einig. Kampagnenleiter, aber auch Regierungen und NGOs würden Männer meist als Hindernis und Gegenspieler abtun. Doch wer sich gegen die Mädchenbeschneidung einsetze, müsse die Männer an Bord holen – als Partner und Verbündete.
Sendung: SRF 1, Sternstunde Religion, 11.6.17, 10 Uhr und 10:50 Uhr