- 2015 gründete Pieter van Boheemen die erste Biohack-Academy auf europäischem Boden.
- Einmal pro Woche treffen sich Designer, Architekten und neugierige Bürgerforscher: Gemeinsam arbeiten sie an Fragen und Projekten zu Genen, Langlebigkeit .
- Ihre Unterrichtsmaterialien und Bastelanleitungen stellen Biohacker anschliessend ins Netz – frei zugänglich für jeden.
Echte Hacker sind keine Zerstörer, sie sehen sich vielmehr als Bastler und Veränderer von Technik. «Die Welt ist voller faszinierender Probleme, die alle nur darauf warten, gelöst zu werden», beschreibt der Chaos-Computer-Club Köln die Hacker-Motivation auf seiner Homepage. So ähnlich sieht Pieter van Boheemen es auch. Der studierte Biotechnologe löst besonders gern Probleme an der Schnittstelle zwischen Biologie, Technik und Gesellschaft. Darum nennt Pieter van Boheemen sich «Biohacker».
Die Welt retten mit genveränderten Bakterien
Als Student hatte Pieter van Boheemen das klassische Bild eines Biotech-Ingenieurs im Kopf. Bis er sich bei IGEM engagierte, dem amerikanischen Genwettbewerb am MIT. Mit Biotech wollte er die Welt retten. Darum entwarf er im Team ein genverändertes Bakterium und platzierte sich damit beim IGEM-Finale.
Das modifizierte Bakterium hätte Erdölreste aus dem Salzwasser abbauen und Ölkatastrophen lindern können. Seine Forscher-Kollegen schätzten die Idee, die Allgemeinheit lehnte sie jedoch ab. Niemand wollte ein genverändertes Bakterium im Meer, auch wenn es ein weltweites Problem hätte lösen können. Pieter van Boheemen wurde klar, dass man für solche Ideen die Akzeptanz in der Bevölkerung braucht. Aus dem industrieorientierten Studenten wurde so ein Kommunikator, Vermittler – und ein Biohacker.
Forschen im Schlösschen
2015 gründete Pieter van Boheemen die erste Biohack-Academy auf europäischem Boden. In der «Waag», einem kleinen Schlösschen mitten in Herzen von Amsterdam. Die «Waag» war früher eine Stadtwaage, heute hat die Waag-Society das Gebäude gepachtet und betreibt dort ein Farblab und ein Nasslabor.
Einmal pro Woche treffen sich Designer, Architekten und neugierige Bürgerforscher in der Biohack-Academy vor Ort. Sie bringen eigene Projekte mit und Fragen: Können Bakterien Tinte produzieren? Kann ich aus dem Wachstum von Pilzgeflechten etwas für städtische Bauten lernen? Wie kann ich Pferde- von Rindfleisch unterscheiden?
Ein Experiment zur Langlebigkeit
Einer der Teilnehmer ist Tony Garcia. Er hat viele Studien zum Thema Langlebigkeit gelesen. Jetzt will er selbst erforschen, was es damit auf sich hat. Mit Fadenwürmern, den klassischen Labortieren, die man aber auch zu tausenden im Erdboden findet. Mit ihnen hat er sich ein Experiment überlegt. Sie sollen unterschiedliches Futter bekommen und er will beobachten, wer dabei am längsten lebt.
Dazu muss der wissenschaftliche Laie lernen, wie man die Würmer züchtet, eine Petri-Schale keimfrei macht und was die Tiere zum Wachsen brauchen. Der Forschungslaie hofft, dass er sein Wissen später auf den Menschen übertragen kann – und vielleicht selbst ein bisschen länger lebt.
Hacking als Lebensphilosophie
Pieter van Boheemen hilft den Teilnehmern bei ihren eigenen Projekten. Gleichzeitig hinterfragt er ihre Themen: «Aber warum willst du länger leben? Man sollte nicht nur sein persönliches Interesse im Auge haben, sondern auch das, was eine Technologie mit einer Gesellschaft macht und wer Zugriff darauf bekommen soll», sagt er. Und damit beschreibt er seine Agenda: «Wir wollen wissen, wer bestimmte Technologien vorantreibt und wer welche politischen Entscheidungen trifft.»
Nicht nur in Diskussionen, auch ganz praktisch: Wie man sich eine teure Maschine auf günstig selber baut oder bestehende Bauteile zweckentfremdet und neu zusammenfügt. «Wenn du eine Zentrifuge aus einem Hubschrauberrotor machst, werde ich sie aus einem Festplattenlaufwerk machen.» Er zeigt den Teilnehmern, was die Vorteile des Hackens sind. Denn Hacking ist mehr als Bastelei, es ist eine geistige Haltung – und für Pieter van Boheemen und die Community eine regelrechte Lebensphilosophie.
Impulse für Forschung und Gesellschaft
Biohacker könnten so etwas wie Vordenker einer neuen Bürgerwissenschaft sein. Sie geben Laien Raum zum Entdecken, zum Ausprobieren, zum Entwickeln eigener Ideen. Ihre Unterrichtsmaterialien und Bastelanleitungen stellen Biohacker anschliessend ins Netz – frei zugänglich für jeden. Diese Offenheit ist Grundlage der Hackerkultur, sagt Pieter van Boheemen.
«Jeder – weltweit – kann nachmachen, was wir tun. Und die nächsten Versionen werden immer besser werden, weil die Leute die Techniken für sich selbst weiterentwickeln.» Auch die klassische Wissenschaft kann davon profitieren. Es geht um einen echten Austausch und um Kommunikation auf Augenhöhe. Biohacker wollen zeigen, wie Forschung selbstorganisiert und nahezu frei von Zwängen funktionieren kann.
Sendung: «Wissenschaftsmagazin», 7.1.2017, 12:40 Uhr, Radio SRF 2 Kultur