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Phänomen «Mindful Drinking»
Aus 100 Sekunden Wissen vom 21.10.2022. Bild: SRF / Sebastien Thibault
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Der Mensch und der Alkohol «Gebt starkes Getränk!»: die Kulturgeschichte des Trinkens

Wo’s Zucker und Hefepilze gibt, ist Alkohol nicht weit: Die Geschichte der Menschheit ist auch eine Geschichte des Alkoholkonsums.

Alkoholhaltige Speisen und Getränke sind so alt wie die Menschheit. Wobei der Konsum von Alkoholischem bis in die Jungsteinzeit vermutlich eher ein seltenes Vergnügen war: Honig, überreife Früchte oder Getreidebrei – auf natürliche Weise vergärt und per Zufall gefunden.

Erst der Ackerbau ermöglichte die gezielte Herstellung von Bier. Vielleicht aber war es auch umgekehrt: Der Bedarf an Bier machte den Ackerbau erst attraktiv. Auch der Wein ist eine Errungenschaft der frühen Landwirtschaft. Der Anbau von Weintrauben geht rund 8000 Jahre zurück.

Der Schwips war alltäglich

Beide Produkte hatten jahrtausendelang eine eher unspektakuläre Bedeutung für die Menschen: Sie waren fester Bestandteil der Ernährung und bevorzugter Durstlöscher. Denn keimfreies Wasser war bis in die Neuzeit Mangelware.

Der beschwipste Zustand war damals wohl ziemlich alltäglich, auch wenn Bier und Wein einen geringeren Alkoholgehalt als heute hatten. Die berauschende Wirkung jedenfalls stand bei diesem alltäglichen Konsum nicht im Vordergrund.  

Genauso wichtig wie der Nährwert war das soziale Trinken, verbunden mit Ritualen und Festen. Alkoholische Getränke waren in fast allen Kulturen über Jahrtausende fester Bestandteil religiöser Rituale. Auch im Christentum, wo der Wein zum Gottesdienst dazu gehört.

Auf dem Bild ist ein Pfarrer zu sehen. Er hält den Messwein in seiner Hand.
Legende: Bis heute gehört der Messwein zum christlichen Gottesdienst. Imago Images / EPD

Das Alte Testament hingegen mahnt eher zu Mässigung. So steht im Buch der Sprüche, dass Könige und Fürsten nicht trinken sollten, um das Recht nicht zu vergessen. Aber auch: «Gebt starkes Getränk denen, die am Umkommen sind, und Wein den betrübten Seelen, dass sie trinken und ihres Elends vergessen und ihres Unglücks nicht mehr gedenken.» (Sprüche Salomos 31, 6-7)

Der Spruch deutet auf die Bedeutung von Alkohol in der Medizin hin, sei es zur Desinfektion oder als Schmerzmittel. So betrieben bei uns Spitäler bis in die Neuzeit eigene Rebberge, um ihre Patienten und Patientinnen grosszügig mit Wein zu versorgen.  

Der Alkohol und das Christentum

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Legende: Die Verwandlung von Wasser in Wein bei der Hochzeit zu Kana ist das erste Wunder, das Jesus im Johannesevangelium zugeschrieben wird. Imago Images / UIG

Wein zieht sich wie ein roter Faden durch die ganze Bibel. Wein war selbstverständlicher Bestandteil der antiken Ernährung und gehörte zu den Dingen, die man selber auf dem Hof anbaute. Brot, Olivenöl und Wein stehen für Nahrung an sich.

Noah pflanzte nach der Sintflut als Erster einen Rebberg. Er trank zu viel Wein und entblösste sich im Vollrausch. Will sagen: Wein ist von Gott gesegnet, aber Mässigung ist angebracht.

Jesus und der Wein

Auch Jesus war keineswegs abstinent. Berühmtestes Beispiel ist das Wunder von Kana im Evangelium nach Johannes. Als an der Hochzeit von Kana der Wein ausgeht, verwandelt Jesus Wasser in Wein. Wein wird zum Zeichen messianischer Fülle.

Beim letzten Abendmahl mit seinen Jüngerinnen und Jüngern segnet Jesus nach jüdischer Sitte Brot und Wein und verknüpft es mit dem Versprechen der Auferstehung. So wurde das gemeinschaftliche Trinken auch zum zentralen Ritus im späteren Christentum.

Hochprozentiges hingegen war bis vor rund 1000 Jahren unbekannt. Ab einem bestimmten Alkoholgehalt sterben die Hefepilze im Gäralkohol ab. Erst die Erfindung der Destillation machte die Produktion von Hochprozentigem möglich. Das «brennende Wasser» war ursprünglich vor allem in der Medizin von Bedeutung, während es als Getränk ausgesprochen teuer und der Aristokratie vorbehalten war. 

Die Zeit der «Schnapspest»

Bei uns änderte sich das schlagartig mit der Industrialisierung – und der Einführung der Kartoffel. Sie war als Ausgangsprodukt für Schnaps plötzlich im Übermass vorhanden und der industrielle Brennprozess machte ihn zur billigen Massenware.

Schnaps wurde für viele zum Nahrungsersatz und Betäubungsmittel. In bürgerlichen Kreisen war von der «Schnapspest» die Rede. Dies zog ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts massive soziale Probleme mit sich. Die Alkoholfrage führte zu einer von Frauen getragenen Abstinenzbewegung und zum 1887 in Kraft gesetzten Alkoholgesetz.

Der Alkohol hat seine gesellschaftliche Ambivalenz bis heute beibehalten. Nur die Sicht auf den Alkohol ändert sich je nach historischem und sozialem Kontext. So hat sich das Elendstrinken eher in ein Wohlstandstrinken gewandelt.

Der risikoreiche Alkoholkonsum ist bei uns umso verbreiteter, je gebildeter und je älter die Menschen sind. Das macht ein Blick in die Statistiken von heute deutlich.

100 Sekunden Wissen, 21.10.2022, 6:54 Uhr

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