Grün, soweit das Auge reicht. So sieht es aus, wenn man über die Regenwälder Guatemalas fliegt. «Das Blattwerk sieht aus wie Brokkoli», sagt die Maya-Spezialistin Anabel Ford. Auch am Boden sehe man oft nur ein paar Meter weit.
Viele glauben, eine Zivilisation im tropischen Urwald sei schlicht unmöglich, so Forscher Marcello Canuto: «Im Englischen pflegt man zu sagen: Zivilisationen gehen in den Dschungel, um zu sterben.»
Die Maya als Gegenbeispiel
Die Zivilisation der Maya beweist das Gegenteil: Sie war hoch entwickelt und städtisch organisiert – mitten im Regenwald. Marcello Canuto konnte das mit einem internationalen Team eindrucksvoll belegen.
Bisher waren von den Maya vor allem einzelne Stätten bekannt wie der Touristenmagnet Tikal mit seinen Tempel- und Palastanlagen. Nun legen die Forscher eine Gesamtschau vor – von einem Gebiet so gross wie nie geahnt.
Über 60'000 bauliche Strukturen
Vom Flugzeug aus wurden 2000 Quadratkilometer Regenwald in Guatemala und Mexiko untersucht – mit einem Lidar. Dieser Lidar sendet Laserstrahlen aus, die durch das «Brokkoliblattwerk» bis zum Boden hindurchgehen.
So könne man in speziellen Karten Boden-Erhebungen sichtbar machen, erklärt der Forscher der amerikanischen Universität Tulane.
Auf solchen «Bodenkarten» registrierten die Forscher die Konturen von über 60'000 baulichen Strukturen – Häuser, Befestigungsanlagen, Bewässerungskanäle, Paläste und Strassen.
Eine vernetzte Stadtlandschaft
Das Meiste stammt aus der Zeit zwischen 600 und 800 nach Christus, aus der späten Blütezeit in der Geschichte der Maya. Damals lebte dieses untergegangene Volk in einer vernetzten Stadtlandschaft, zeigen die Lidardaten.
Es gab eher wenige rein ländliche Gebiete, dafür viele kleine und grosse Städte. Im Urwald lebten ganz offensichtlich sehr viel mehr Menschen als lange gedacht.
Sehr dicht besiedelt
«Etwa sieben bis elf Millionen Menschen haben vermutlich damals im gesamten Maya-Tiefland in Mittelamerika gelebt», schätzt Marcello Canuto. Dieses Gebiet umfasst etwa zweimal die Fläche der heutigen Schweiz.
Doch in der Schweiz lebten damals – im Frühmittelalter – viel weniger Leute. Die Maya lagen mit ihrer Bevölkerungsdichte vielleicht 10 bis 20 Mal höher. Vielleicht war der Maya-Regenwald sogar weltweit das am dichtesten besiedelte Gebiet.
Analysen vor Ort sind nötig
Doch wie zuverlässig sind die Hochrechnungen der Forscher? Maya-Spezialistin Anabel Ford von der University of California in Santa Barbara, die nicht an der Studie nicht beteiligt war, hält die Zahlen für überzeugend. Doch man müsse die neuen Entdeckungen nun einzeln am Boden überprüfen.
Denn der Teufel stecke im Detail: Um zu verstehen, was die Forscher gefunden haben, brauche es zwingend auch Analysen vor Ort.
Vor allem manche ländlichen Strukturen in den Karten könnten auch falsch interpretiert sein, so die Archäologin. Gewisse Linien seien wohl eher natürliche Bodenstrukturen als – wie von den Forschern vermutet – landwirtschaftliche Felder.
Intensive Landwirtschaft und ein dichtes Strassennetz
Tatsächlich gehen die Forscher von einer viel intensiveren Landwirtschaft aus als bisher für die Maya angenommen.
Bewässerungs- und Entwässerungsanlagen, terrassierte Felder oder Bauten gegen Bodenerosion seien verbreitet gewesen, so Marcello Canuto. Und ein dichtes Strassennetz habe nicht nur städtische, sondern auch ländliche Gebiete erschlossen.
«Vermutlich gab es einen regen Austausch zwischen den städtischen und ländlichen Maya, weil die Städte auf Lebensmittel vom Umland angewiesen waren», nimmt der Forscher an. Auf den Verbindungsstrassen zirkulierte daher auch viel Verkehr. Allerdings nur Fussgängerverkehr.
Lieber zu Fuss unterwegs
Die Maya, so hochentwickelt sie waren, benutzten das Rad nicht, obwohl sie es kannten. Auch Lasttiere hatten sie keine. Sie trugen daher die Maisernte eigenhändig zu den Märkten und bauten ihre riesigen Städte mit blosser Muskelkraft.