Vor mehr als 100 Jahren entdeckte ein Forschungsteam hunderte Gräber auf der schwedischen Insel Björkö. Ein Wikingergrab war besonders prächtig: Speere, eine Axt, ein Schwert, zwei Pferde und ein Brettspiel beinhaltete es. DNA-Tests zeigen: Die Knochen aus dem Grab des «Kriegers» sind die einer Frau. Das versetzt die Fachwelt in Aufruhr – zurecht, findet Prähistorikerin Brigitte Röder.
SRF: Warum sorgt dieser Fund für so viel Aufsehen?
Brigitte Röder: Eine Frau als Kriegerin widerspricht verbreiteten Vorstellungen von der Rollenteilung, die Männer und Frauen «seit Urzeiten» oder «von Natur aus» haben sollen.
Das wird für von den einen als Befreiungsmöglichkeit wahrgenommen und von den anderen als Bedrohung. Offensichtlich provoziert das.
Warum provoziert das eigentlich? Das ist ja tausend Jahre her.
Aktuell sind die Geschlechterrollen sehr im Umbruch. Gerade deswegen wird momentan vermehrt auf die Frühzeit der Menschheitsgeschichte zurückgeblickt.
Die Hoffnung ist, dort Antworten zu finden, wie Männer- und Frauenrollen eigentlich sind. Vom Blick in die Geschichte versprechen wir uns Orientierung.
Was folgt denn daraus für die Gegenwart?
Der Fund bedeutet, dass letztlich alles offen ist, und wir die Formen des Zusammenlebens hier und heute aushandeln müssen – und zwar ohne Rückgriffe auf einen behaupteten Ur- und Naturzustand.
Was scheinbar in Stein gemeisselt war, wird plötzlich veränderbar. Und wenn es in der Vergangenheit schon einmal anders war, dann könnte es ja auch heute oder in Zukunft anders sein. Das hat Sprengkraft.
Was bedeutet der Fund für die Forschung?
Die Wogen, die der Befund von Birka schlägt, führen uns vor Augen, dass Geschichte immer eine gesellschaftspolitische Rolle in der Gegenwart hat. Für die Forschung ist es wichtig, diese zu reflektieren.
Wir blicken also vermeintlich zurück, betrachten aber eigentlich uns selbst?
Dieser Aspekt ist immer dabei. Archäologische Befunde sprechen nicht für sich, sondern müssen interpretiert werden. Und weil man nur das erkennt, was man kennt, muss man aufpassen, dass die Vergangenheit nicht zum Spiegel der Gegenwart wird.
Muss die Geschichte wegen der Kriegerin von Birka nun neu geschrieben werden?
Dass ein weibliches Skelett mit Waffen entdeckt wird, kommt immer mal wieder vor. Das allein sagt noch nicht viel darüber aus, welche Rolle diese Person in der Gesellschaft hatte. Aber es wirft Fragen auf: Beispielsweise, ob Geschlechterrollen damals durchlässiger waren.
Ich würde also nicht dazu aufrufen, die Geschichte neu zu schreiben, sondern dazu, an Befunde wie den von Birka neue Fragen zu stellen.
Das Gespräch führte Tom Kobel.