Am 14. Februar 2025 kurz vor 2 Uhr nachts traf eine Drohne des iranischen Typs Shahed-136 die Nordseite des Gewölbes. Sie durchschlug die innere und äussere Hülle, riss ein mehr als 15 Quadratmeter grosses Loch hinein und löste Schwelbrände aus, die sich bis auf die Südseite der Struktur hin durchfrassen.
Die Feuerwehr musste zusätzliche Löcher in die Hülle schneiden. Erst nach zwei Wochen waren die letzten Brandnester gelöscht. Rund 200 Quadratmeter sind beschädigt. «Die Lage ist ziemlich ernst», urteilt Simon Evans. Er ist Leiter des internationalen Tschernobyl-Kooperationsfonds bei der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, die als Treuhänderin und Projektkoordinatorin für die Schutzhülle, das New Safe Confinement (NSC), fungiert hat und die immer noch eine zentrale Rolle bei Bewertung, Sicherung und Management spielt.
Schutz gegen Blitzeinschlag, aber nicht gegen Raketen
Die Schutzhülle, die rund 2.1 Milliarden Euro gekostet hat, war zwar für Brände durch Blitzeinschlag oder im Inneren der Anlage ausgelegt, aber nicht für einen Raketenangriff. Sie überspannt nicht nur den einsturzgefährdeten Sarkophag, sondern auch die gesamte technische Infrastruktur für den Rückbau: Kransysteme, Kontrollräume, Spezialwerkstätten.
Die NSC ist eine komplexe Hightech-Hülle: Aussen- und Innenverkleidungen aus Stahl, dazwischen Dämmmaterialien und eine spezielle Gummimembran zur Feuchtigkeitsregulierung. Zwischen innerer und äusserer Hülle liegt der «Ringraum». «Der war mit sauberer, trockener Überdruckluft gefüllt, um Korrosion zu verhindern oder dass kontaminierte Luft angesaugt wird», erläutert Simon Evans. Der Korrosionsschutz hing allein vom Überdruck und der trockenen Luft ab.
Jetzt gibt es keinen Überdruck mehr, Regen und Feuchtigkeit dringen ein. Der Schwerlastkran für den Rückbau wurde beschädigt, ebenso wie die elektrischen Systeme. Alles muss repariert werden. Die Strahlung hat sich nicht erhöht, da der Rückbau noch nicht lief – der wird noch geplant. Unter anderem wegen des mehr als 1000 Tonnen schweren Reaktordeckels, der seit der Explosion schräg steht und die Stabilität der zerstörten Anlage zusätzlich gefährdet.
Mehr Kosten, mehr Strahlung – grösseres Risiko
Das eigentliche Problem sind die Schäden an der Hülle. Ein kompletter Austausch des NSC ist unrealistisch. «Wahrscheinlich wird man sich die Konstruktionsprinzipien genau anschauen und prüfen, ob sich zentrale Funktionen anders erreichen lassen», so Simon Evans. Etwa durch eine stärkere Luftzirkulation oder durch das Akzeptieren höherer Luftfeuchtigkeitswerte. Auch über eine kürzere Lebensdauer mit regelmässigen Sicherheitsüberprüfungen wird diskutiert. «Das muss alles durchgerechnet werden. Vielleicht können wir zumindest einen Teil der ursprünglichen Schutzfunktion wiederherstellen.»
Wie es weitergeht, müssen Expertinnen und Experten entscheiden: unter anderem der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) und der ukrainischen Aufsichtsbehörde. Sicher ist: Es wird teuer – und die Strahlenbelastung der Mitarbeiter steigt. Die Hülle war aus Strahlenschutzgründen 300 Meter von der Reaktorruine entfernt gebaut worden. Die Reparaturen müssen direkt darüber laufen.