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«30 Jahre lang bin ich morgens sehr früh aufgestanden, um Feuer zu machen fürs Frühstück», sagt Vejandla Ram, eine schmächtige, verhärmt wirkende Frau. «Das Brennholz war oft feucht und die ganze Hütte stand voller Qualm – so dass die Kinder schon husteten, bevor sie aufwachten.»
Vejandla Rams Dorf heisst Kulluba. Es liegt in den Bergen des südindischen Bundesstaates Andhra Pradesh. 50 Familien der Adivasi, der Ureinwohner Indiens, leben hier in niedrigen Lehm- und Betonhütten, gedeckt mit Ziegeln oder Gras.
Am Brunnen schrubben zwei Mädchen mit Asche und Wasser Blechtöpfe, während Vejandla von ihrem mühseligen Alltag in den letzten Jahrzehnten erzählt.
«Vormittags haben wir Frauen im Wald Holz gesammelt. Die schweren Bündel trugen wir auf dem Kopf nach Hause. Jetzt bin ich 50 und kann kein Holz mehr schleppen. Den ganzen Tag tun mir die Beine und der Rücken weh, manchmal kriege ich kaum noch Luft.»
Giftiger Qualm aus der Küche
Russ und Qualm in der Wohnung sind eines der grössten Probleme weltweit – für die Umwelt, das Klima und vor allem für die menschliche Gesundheit. Drei Milliarden Menschen, fast die Hälfte der Weltbevölkerung, kochen mit Holz, Holzkohle und Ernteabfällen, mit Kerosin, Dung und Plastikmüll. In kalten Regionen vertreibt offenes Feuer in Wohnräumen auch die Kälte.
Das Ergebnis ist eine gewaltige Belastung der Menschen mit Russ. Mit Feinstaub, dem gefährliche Kohlenstoffverbindungen anhaften, oft auch Schwefelsäure, Quecksilber, Arsen.
In Millionen Hütten weltweit ist die Luft die meiste Zeit hundertmal mehr mit Rauch und Russ belastet, als die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt – in Indien ebenso wie im afrikanischen Kenia.
Kopfschmerzen durch das Kerosin
Im Dorf Morageti ausserhalb der kenianischen Hauptstadt Nairobi betritt Anna Ingwe, Projektleiterin der «Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit» (GIZ) , die Wohnküche einer aus Lehmziegeln gebauten Hütte: Auf dem Feuer zwischen drei Steinen köchelt Suppe. Die auf dem Tisch qualmende Kerosinlampe beleuchtet russgeschwärzte Wellblechplatten und Wände.
«So wie früher bei meinen Eltern», sagt Anna Ingwe. Am frühen Abend sei sie von der Schule nach Hause gekommen und habe ihre Hausaufgaben gemacht. Ihre Mutter stellte dann eine Kerosinlampe auf den Tisch.
«Ich weiss noch: Wenn ich eine Weile gelesen hatte, bekam ich Kopfschmerzen. Ich hatte dicke schwarze Pfropfen in der Nase, und im ganzen Raum stank es fürchterlich. Wenn du so aufwächst, denkst du: Das ist normal. Über die Auswirkungen des Kerosins auf deine Gesundheit nachzudenken, kommt dir gar nicht in den Sinn.»
Alltäglicher Rauch mit tödlichen Folgen
Die Auswirkungen von Kerosin- und Holzfeuern sind gleichermassen dramatisch: Menschen, die Tag für Tag deren Rauch einatmen, bekommen besonders häufig Schlaganfälle, zu Erblindung führenden Grauen Star oder Krebs im Bereich der oberen Atemwege.
Ihre Lunge wird ruiniert: Feinstaub, der sich in der Lunge abgelagert hat, lässt sich nicht mehr entfernen. Es kommt zu Entzündungen, Lungengewebe stirbt ab und vernarbt, langfristig droht Lungenkrebs.
Die WHO schätzt, dass häusliche Abgase 3,5 Millionen Menschen jährlich töten – fast so viele wie Abgase von Autos, Industrie und abgebrannten Feldern zusammen. Betroffen sind vorwiegend arme Frauen und deren Kinder.
Unzählige Kleinkinder inhalieren täglich Rauch, der dem Qualm Dutzender Zigaretten entspricht. Mehr Kinder sterben an durch Rauch verursachten Lungenentzündung als an Malaria, Durchfallerkrankungen und Masern zusammen.
Mehrere hundert Verbrennungsopfer
Eine weitere Folge des Kochens auf offenem Feuer sind Verbrennungen. Professorin Sujata Sarabahi ist eine junge Verbrennungsspezialistin im Safdarjung-Krankenhaus in Delhi. Bei der Morgenvisite auf der Intensivstation deutet sie mit bitterem Lächeln nach rechts und links.
Entlang des gekachelten Gangs liegen Dutzende Brandopfer unter grossen Hauben, damit keine Decke ihren verbrannten Körper berührt. Einige sind bewusstlos, andere stöhnen vor Schmerz.
Drei von vier der Patienten hier hätten ihre Verbrennungen beim Kochen erlitten, sagt Sujata Sarabahi. Viele werden zu spät eingeliefert, sie sterben an Sepsis, Blutvergiftung. «Täglich sterben 400 Inder und Inderinnen an Verbrennungen.»
Eine Allianz für sauberes Kochen
An diesem Nachmittag beginnt im India Habitat Centre, einem Kongresszentrum in Neu-Delhi, ein Fachkongress der « Globalen Allianz für saubere Kochherde» . Sie wurde 2010 von den Vereinten Nationen ins Leben gerufen und sitzt in Washington, D.C.
In der Allianz bemühen sich Regierungen, Unternehmen, Stiftungen und NGOs gemeinsam, weltweit Bewusstsein zu schaffen und Geld zu mobilisieren für umwelt-, klima- und vor allem gesundheitsfreundliches Kochen.
Ein wichtiges Ziel ist auch, die soziale Situation von Frauen zu verbessern. Eine Frau in Kenia sammelt im Schnitt dreieinhalb Stunden täglich Holz, in Indien verbringen Frauen zehnmal soviel Zeit als Männer mit unbezahlter Arbeit wie Kochen, Holz- und Wasserschleppen.
Eine neue Studie habe festgestellt, dass 30 Prozent der Luftverschmutzung in Indien durch häusliche Abgase verursacht werden, berichtet Radha Muthiah, die aus Malaysia stammende Leiterin der Allianz. «Auf der Basis solcher Erkenntnisse können wir jetzt noch nachdrücklicher fordern, dass das Problem entschlossen bekämpft wird.»
Weniger Abgase, weniger Arbeit
Dazu sollen insbesondere verbesserte Kochstellen beitragen: Im südindischen Dorf Kulluba steht die 50-jährige Vejandla Ram lächelnd vor einem neuen Herd in ihrer verrussten Wohnküche. Gebaut hat ihn Lova Raju, ein Techniker der lokalen Hilfsorganisation Laya , die schon 6‘000 verbesserte Holzherde in der Region installiert hat.
«Er besteht aus zwei Kochstellen», erklärt der Techniker den verbesserten Holzherd. «Durch einen Kanal strömt Hitze von der einen zur anderen Kochfläche, während der Rauch in den Schornstein aufsteigt.
Das funktioniert, weil eine seitliche Öffnung in der Brennkammer optimale Belüftung des ansonsten geschlossenen Brennraums garantiert.» Das sehr heisse Feuer in dem neuen, verbesserten Herd verbrenne auch einen Teil der Abgase.
Eine Studie der Universität von Colorado hat kürzlich festgestellt: Frauen, die die neuen Laya-Herde benutzen, brauchen deutlich weniger Zeit zum Kochen als früher. Weil die verbesserten Holzherde 30 Prozent Energie sparen, müssen die Frauen auch weniger Holz sammeln.
Ähnliches Feedback in Kenia
Neue Herde gibt es auch im kenianischen Dorf Morageti. Gebaut hat sie die hier lebende Herdbauerin Lydia Wangui – im Auftrag der deutschen GIZ. Lydia trägt einen aus gebranntem Ton vorgefertigten Herd in die verrusste Küche der Bäuerin Mary Njambe. Der Herd hat nur eine Kochfläche, funktioniert aber wie die neuen Herde in Indien: gute Luftzufuhr von der Seite, eine geschlossene Brennkammer.
Lydia Wangui – eine imposante Frau mit grellgrünem Hut auf dem Kopf – streichelt den glatten Ton und lächelt. «Es ist sehr wichtig, dass der Schornstein ordentlich zieht. Ausserdem dürfen die Frauen nur trockenes Holz verbrennen. Dann haben sie wirklich eine rauchfreie Hütte, und das Essen ist viel schneller fertig als früher.»
Das GIZ-Programm hat in mehreren Ländern Afrikas bereits Millionen Exemplare des «Jiko Kisasa» genannten Keramikherds installiert. Wie die Nutzer verbesserter Holzherde in Indien klagen auch die Besitzer des «Jiko Kisasa» über weit weniger Atemwegs- und Augenbeschwerden als früher.
Den Experten reicht das nicht
Trotzdem runzeln Experten auf dem Fachkongress in Delhi die Stirn. Umweltmediziner Thomas Clasen von der Emory Colorado Universität verweist auf die neue Studie eines Kollegen von der Liverpool School of Tropical Medicine , Kevin Mortimer.
Dieser versorgte für seine Studie einige hundert Haushalte im ländlichen Malawi mit verbesserten Brennholzherden und prüfte dann, ob die Kleinkinder weniger oft eine Lungenentzündung bekamen.
«Das war leider nicht der Fall», sagt Thomas Clasen. «Auch eine Studie in Nordindien dokumentiert zwar eine Verminderung der Abgasbelastung im Haus – aber keine signifikanten Auswirkungen auf die Gesundheit der Bewohner.»
Die Rauchbelastung sei wohl immer noch zu hoch, vermuten die Experten. Sie diskutieren auf dem Kongress über zahlreiche Kochtechniken, die sauberer sind als das Kochen mit verbesserten Holz- und Holzkohleherden. Aber diese Techniken sind teuer und schwierig einzuführen.
Indien zum Beispiel fördert seit Jahren die Nutzung von Biogas. Aber nur wenige Inder sind bereit, Kuhdung anzufassen – und die Anfangsinvestitionen in eine Biogasanlage sind hoch.
Flüssiggas für die Städte
Mit beachtlichem Erfolg propagiert Indiens Regierung allerdings das Kochen mit aus Erdöl gewonnenem Flüssiggas. Das Gas brennt relativ sauber und stösst wenig Kohlendioxid aus. Allein 2016 und 2017 installierten Indiens Ölkonzerne und die Regierung 30 Millionen stark subventionierte Herde mit Gasflaschenanschluss.
95 Prozent der städtischen Bevölkerung nutzen inzwischen Flüssiggas – oft aber nur zum Kochen von Tee. Denn auch das Gas ist nicht billig und könnte, wenn der Erdölpreis steigt, rasch unerschwinglich werden.
Inder auf dem Land zeigen sich eher skeptisch gegenüber dem Kochen mit Flüssiggas. Viele sagen, was nicht auf dem traditionellen Herd, dem «Chulha», gekocht sei, schmecke nicht. Das offene Feuer ist für sie zudem – Rauch hin, Rauch her – auch ein Ort abendlichen Beisammenseins und kultureller Aktivitäten.
Neue Herde müssen zur Kultur passen
Genau deshalb müssten neue Kochtechniken, die Menschen in Entwicklungsländern angeboten werden, nicht nur komfortabel, zuverlässig und robust sein, meint Radha Muthiah von der Globalen Allianz für saubere Kochherde. Um neue Herde in traditionell lebenden Gesellschaften zu verankern, müssten Experten, Hersteller und Händler insbesondere die Rolle der Frau verstehen.
«Was erwartet die Familie von ihr? Was sagen die Schwiegermutter und der Ehemann, wenn ein Gericht plötzlich anders schmeckt, weil es mit einem anderen Brennstoff gekocht wurde? Erst wenn wir die Kultur der Menschen im Kern verstanden haben, können wir ihnen erklären, warum sie und ihre Familien umsteigen sollten von traditionellen Kochtechniken auf sauberere und effizientere Herde und Brennstoffe», sagt Muthiah.
Eine oft mühsame und langwierige Aufgabe, für die sich viele Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit nicht die Zeit nehmen und deshalb scheitern.
Ganz anders gehe die südindische NGO «Laya» vor, erklärt der junge «Laya»-Mitarbeiter Siddharth D’Souza in der Gemeindehalle Kullubas. Über Jahre habe man sich mit anderen Projekten Vertrauen unter den Adivasi, den indischen Ureinwohnern, erarbeitet.
Und: «Unsere verbesserten Herde unterscheiden sich nur geringfügig von den Herden, die die Adivasi traditionell benutzen. Wir haben eigentlich nur den Luftdurchlauf verbessert. So kochen die Leute effizienter, sie belasten ihre Gesundheit weniger, und die Chancen wachsen, dass sie die neuen Herde dauerhaft akzeptieren.»
Innovative Technik zahlt sich aus
Im kenianischen Nairobi werden in der Fabrik Burn Manufacturing putzeimergrosse Kochherde hergestellt. Frauen und Männer in blauen Kitteln bedienen Dreh-, Fräs- und Biegemaschinen. In einer Brennkammer wird Töpfen schwarzes Keramikpulver eingebrannt, dann erhalten sie eine Isolierschicht aus Glaswolle.
Der Kanadier Peter Scott, Gründer von Burn Manufacturing, teilt zwar die Ziele von «Laya» und ähnlicher Initiativen in Afrika. Von leicht verbesserten Herden, die Hilfsorganisationen in indischen oder afrikanischen Dörfern installieren, hält Scott jedoch wenig.
Peter Scott baut in Kenia mit 250 Mitarbeitern so genannte Raketenherde. Sie sehen aus wie ein grosses L: Unten werden Holzkohle oder Brennholz eingeführt, und im isolierten Brennraum wird eine derart hohe Temperatur erreicht, dass fast alle Abgase verbrennen.
Seine Herde sparten doppelt so viel Energie ein wie die bei den Adivasi Indiens installierten Einbauherde, sagt Scott. Er verkaufe sie erfolgreich für 40 Dollar das Stück – ohne jede Subvention. «Familien im Afrika südlich der Sahara zahlen 10 bis 75 US-Dollar monatlich für Holzkohle. Wir geben den Leuten einen Herd, mit dem sie 60 Prozent dieser Kosten sparen.» Dieser Herd bezahle sich selbst – innerhalb von höchstens 6 Monaten: «Dass sie sparen, merken die Leute schnell. Deshalb haben wir bis heute 350‘000 Herde verkauft.»
Eine Vision auf dem Weg zur Wirklichkeit
Neben smarten Kaufleuten und sozial engagierten Idealisten gibt es auch Visionäre im weltweiten Kampf für saubere Kochenergie. Zu ihnen zählt Simon Batchelor, ein britischer Experte für Photovoltaik, für Sonnenenergie.
Das Kochen in Töpfen, die von gebündeltem Sonnenlicht erhitzt werden, habe sich nicht durchgesetzt, sagt er. Weit komfortabler und auch kulturell unproblematisch sei das Kochen mit Strom aus Solarzellen, der in grossen Akkus gespeichert wird.
Diese Technik galt lange als zu teuer für Entwicklungsländer. Inzwischen aber sind die Preise für die Bauteile drastisch gesunken. Es gibt hocheffiziente Induktionskocher. Aus Untersuchungen schliesst Simon Batchelor: Jeder dritte Nutzer von Holz und Holzkohle wäre bereit, mit Solarstrom zu kochen, wenn ihn das nicht mehr als 10 US-Dollar im Monat kosten würde.
Ein derart preisgünstiges Kochen mit Solarstrom werde nicht, wie Experten bis vor Kurzem glaubten, erst 2020 möglich sein – sondern schon Ende 2018, meint Simon Batchelor: «Denn der einsetzende Elektroauto-Boom hat zu einem drastischen Preisverfall bei Akkus geführt.»
Und die Akku-Kapazität eines Solarsystems sei entscheidend für dessen Leistung: «Der Akku soll tagsüber möglichst viel Strom speichern, damit du kochen kannst, wann immer du willst.»
Kommt die Solar-Revolution?
Der britische Experte gerät ins Schwärmen: Mininetze für einzelne Häuser, Siedlungen oder ganze Dörfer aus Strom produzierenden Solarzellen, Strom speichernden Akku-Anlagen und Stromleitungen in die Haushalte seien in armen, aber sonnenreichen Regionen der Weg zu nachhaltig sauberem Kochen schlechthin.
Und dieser Weg könne schon in naher Zukunft beschritten werden. «Wir sehen einem so genannten «Tipping Point» 2019/20 entgegen – einem entscheidenden Zeitpunkt wie der, der die Handy-Revolution auslöste.
Dann wird es auf einmal weltweit sehr schnell sehr viele von Solarenergie gespeiste Mininetze geben. Wir Experten sollten die kommenden Jahre nutzen, effiziente Geräte zu entwickeln für das Kochen mit Solarstrom.»
Zahl der Holz-Haushalte sinkt
Batchelor und viele seiner Kollegen freuen sich, dass Russ und Qualm in den Hütten der Armen heute nicht mehr als Privatsache gelten. Regierungen, Wissenschaft und Entwicklungshilfe haben erkannt, dass Russ und Qualm zu den größten Bedrohungen für die Gesundheit von Milliarden Menschen, Umwelt und Klima zählen.
Und schneller als noch vor einigen Jahren finden immer effizientere Herde und Brennstoffe ihren Weg in die Hütten der Armen. Weltweit sinkt die Zahl der Holz und Holzkohle verfeuernden Haushalte. Nur in Afrika steigt sie noch.