Es war ein Allgäuer, der vor 11.6 Millionen Jahren schon auf zwei Beinen gegangen sein soll – und kein Afrikaner: Schon das allein kommt einer Sensation in der Entstehungsgeschichte des Menschen gleich.
Denn dieser Menschenaffe konnte über 5 Millionen Jahre früher laufen als der bisher älteste Fund. Und er stammt eben nicht aus Afrika. Sondern aus Europa.
«Eine Sternstunde»
«Das ist eine Sternstunde der Paläoanthropologie und ein Paradigmenwechsel», so stuft Paläontologin Madelaine Böhme ihren Fund ein, den sie im Fachmagazin Nature diese Woche veröffentlichte.
In drei Jahren hat sie 37 Knochenstücke gefunden, und bald wurde klar, dass es sich um eine neue Art handeln muss. Denn Danuvius guggenmosi – so sein wissenschaftlicher Name – vereint Merkmale eines Affen mit denen eines typischen Zweibeiners.
Arme wie ein Affe, Beine wie ein Mensch
Eines der fünf Skelette ist sogar zu 15 Prozent erhalten, was Madelaine Böhme Schlüsse auf seine Fortbewegung erlaubte: «Zu unserem Erstaunen ähnelten einige Knochen mehr dem Menschen als dem Menschenaffen.»
Das gelte insbesondere für das Schienbein: «Das Gelenkende zeigt klar, dass dieses Tier mit gestreckten Knien gelaufen ist.» Die Arme dagegen ähneln viel mehr denen eines Menschenaffen und eignen sich bestens zum Schwingen und Hangeln.
Der berühmte Missing Link?
Halb Affe, halb Mensch – zumindest, was die Fortbewegung betrifft. Für Madelaine Böhme ist klar, dass sie mit Danuvius den «Missing Link» gefunden hat – das Bindeglied zwischen unseren menschenaffenähnlichen Vorfahren und dem Menschen also.
Eine Interpretation, die dem Paläo-Anthropologen Christoph Zollikofer der Universität Zürich etwas zu weit geht: «Das liest sich zwar gut, aber die Evolution ist nicht eine Abfolge von Bindegliedern. Welcher aufrechte Gang ist das? Das muss nicht der unsere sein.»
Direkter Vorfahre als Obsession
Diese direkte Verknüpfung eines spannenden Fundes mit uns Menschen bezeichnet Zollikofer als «Obsession unserer Zunft». Aber er wendet auch ein: «Evolutionsbiologisch funktioniert das einfach nicht. Das sind Nachwehen der Schöpfungsgeschichte».
Direkte Vorfahren finden zu können, die Jahrmillionen alt sind, das sei eine Illusion. «Aber Arten zu finden, die ausgestorben sind, das ist natürlich keine Illusion». Der Menschenaffe Danuvius müsse ja nicht direkt mit uns verwandt sein. Schliesslich sind die vorliegenden Funde keine Beweise, sondern nur Indizien.
Entstand der Mensch in Europa?
Diese Kritik kommt für Madelaine Böhme nicht aus blauem Himmel, denn sie propagiert schon seit Jahren die Theorie, dass die Evolution vom Affen zum Menschen in Europa begann. Und sich erst später, als Südeuropa versteppte, nach Afrika verlagerte.
Wie so oft, wenn neue, gewagte Theorien formuliert werden in der Wissenschaft, stösst sie auf viel Skepsis. «In Afrika gibt es aus dieser Zeit keinen Hinweis auf frühe Menschenformen – aus Europa gibt es sie.» Das ihr Gegenargument.
Wer recht hat, wird so schnell nicht klar sein. Denn, wie es Madelaine Böhme treffend formuliert: «Indizien haben wir immer zu wenig, also Paläontologen haben immer zu wenig Funde, das ist ganz klar.»
Sendung: Wissenschaftsmagazin, Radio SRF 2 Kultur, 9.11.2019, 12:40 Uhr