- Unser Gehirn setzt Informationen so zusammen, dass sie uns sinnvoll erscheinen. So können falsche Erinnerungen entstehen, ohne dass wir uns dessen bewusst sind.
- Falsche Erinnerungen können entstehen, indem wir Gehörtes und Gelesenes in unsere Erinnerung integrieren, ohne es selbst erlebt zu haben.
- Falsche Erinnerungen sind besonders schwer zu entdecken, weil im Gegensatz zu einer Lüge keine Absicht dahintersteckt.
- In der Schweiz sass Henri Poulard wegen einer falschen Identifizierung 3.5 Jahre lang unschuldig im Gefängnis.
Unsere Erinnerungen sind instabil
Unser Gedächtnis ist kein Videorekorder. Das zeigt der Selbsttest im Video eindrücklich: Welche Gesichter kamen schon vor, welche sind nur ähnlich? Schon nach weniger als zwei Minuten kommen viele ins Grübeln oder tippen gar daneben.
Der Test basiert auf Material von Elizabeth Loftus, der Pionierin der Forschung zu falschen Erinnerungen. Unzählige ihrer Studien zeigen, wie instabil unsere Erinnerungen sind.
Falsche Erinnerungen haben verschiedene Ursachen
Natürlich: Die Test-Situation ist künstlich, die Bilder sind präpariert. Im echten Leben kommt das gleiche Phänomen aber ebenfalls vor: Wir glauben uns sicher zu erinnern, liegen damit aber falsch. Folgende Mechanismen können unsere Erinnerungen zum Beispiel verändern:
- Die Quellenverwechslung. Wir glauben, eine Situation erlebt zu haben – dabei stützen sich unsere vermeintlichen Erinnerungen auf Fotos, Berichte und Erzählungen anderer.
- Die Konfabulation. Wir vermischen verschiedene Ereignisse, Orte, Personen miteinander und fabulieren uns eine Erinnerung zusammen, die so gar nie stattgefunden hat.
- Der Waffenfokuseffekt. Wenn wir aufgeregt sind, fokussieren wir unsere Aufmerksamkeit extrem, zum Beispiel auf eine bedrohliche Waffe. Gut für eine schnelle Reaktion, schlecht für eine präzise Erinnerung. An weniger fokussierte Informationen – zum Beispiel das Gesicht des Täters, der uns bedroht – können wir uns danach kaum erinnern.
3.5 Jahre im Gefängnis – wegen falscher Erinnerung
Im Alltag ist das harmlos und bleibt oft unentdeckt. Anders sieht es vor Gericht aus. Falsche Erinnerungen sind viel schwerer aufzudecken als Lügen, weil die Zeugen selbst davon überzeugt sind.
Ein Beispiel aus der Schweiz: Henri Poulard sass in den 90er-Jahren 3.5 Jahre lang unschuldig im Gefängnis. Er war für einen Überfall auf eine Bijouterie in Genf verurteilt worden – sieben Jahre nach der Tat, die er stets bestritten hatte.
400‘000 Franken Schadenersatz
Die Angestellten der Bijouterie identifizierten ihn erst bei der zweiten Gegenüberstellung – möglicherweise ein Hinweis auf eine veränderte Erinnerung.
Nachdem Poulard seine Strafe abgesessen hatte, wurde bekannt, dass eine Diebesbande in Italien die Tat begangen hatte. Henri Poulard wurden 400‘000 Franken Schadenersatz zugesprochen, doch sein Leben lag in Trümmern. Die veränderten Erinnerungen der Zeugen hatten sich für ihn verheerend ausgewirkt.
Sendung: «Einstein» vom 20.4.2017