Ein Überraschungsfund wirft ein neues Licht auf die Tätigkeiten von Frauen im Mittelalter. Auf dem Friedhof des Klosters Dalheim (Deutschland) entdeckte ein Forscherteam die sterblichen Überreste einer Nonne, in deren Zahnstein sich zu Lebzeiten Rückstände eines kostbaren Pigments eingelagert hatten.
Ein Pigment so kostbar wie Gold
Komplizierte Analysen ergaben, dass es sich dabei um das Mineral Lasurit handelte – damals als Farbstoff «Ultramarin» bekannt. Das Mineral wird aus dem Gestein Lapislazuli gewonnen. Zu Lebzeiten der Nonne war Lapislazuli so wertvoll wie Gold.
«Damals wurden diese kostbaren Pigmente nur erfahrenen Künstlern und Schreibern anvertraut», erklärt die Historikerin und Co-Autorin der Studie Alison Beach von der Ohio State University. «Wir gehen deshalb davon aus, dass diese Frau eine Künstlerin war und wertvolle Bücher illustrierte.»
Blauer Zahnstein verrät Künstlerin
Die blauen Pigmente hatten sich vermutlich im Zahnstein der Nonne eingebettet, weil sie ihren Pinsel regelmässig mit der Zunge befeuchtete. So konnte sie die Farbe präziser auftragen. Zwar wäre es auch denkbar, dass die Frau nur bei der Herstellung der Pigmente anwesend war oder Lapislazuli als Medizin einnahm.
Doch Frank Rühli, Co-Autor der Studie und Leiter des Instituts für Evolutionäre Medizin an der Universität Zürich, ist überzeugt: Die Nonne war eine Künstlerin: «Wir können es zwar nicht beweisen, aber unsere Arbeit zeigt sehr schön, dass sie sehr wahrscheinlich aktiv beim Herstellen dieser edlen und kostbaren Manuskripte tätig war.»
Gleichzeitig beweise dieser Fund, dass die bedeutende Tätigkeit von Frauen im Mittelalter oftmals übersehen werde, so der Züricher Forscher: «Künstlerinnen haben ihre Werke im Mittelalter als Zeichen der Demut oftmals nicht signiert, weshalb es schwierig ist, sie zuzuordnen. Deshalb wird ihre Leistung häufig unterschätzt.»
Verzweigte Handelswege
Nicht zuletzt zeigt diese Entdeckung, dass es zu Lebzeiten der Nonne (etwa zwischen 1000 und 1200 n.Chr.) bereits weit verzweigte Handelswege mit wertvollen Rohstoffen gab.
«Damals waren Minen in Afghanistan die einzige Quelle für Lapislazuli», erklärt Christina Warinner vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena, Co-Autorin der Studie.
«Umso verblüffender war es für uns, Rückstände dieses Gesteins bei einer Frau zu finden, die in einem kleinen Kloster im ländlichen Deutschland gelebt hat. Zu einer Zeit, in der die Schrift dort noch nicht verbreitet war.»
Die Forscher hoffen nun, weitere Künstlerinnen anhand von Rückständen im Zahnstein ausfindig machen zu können. Oder mehr über andere Tätigkeiten zu erfahren, denen Frauen im Mittelalter nachgegangen sind.
«Es ist bereits gelungen, Russ und Rückstände von Baumwolle im Zahnstein nachzuweisen», sagt Christina Warinner. Damit eröffnen Zahnsteinanalysen völlig neue Einblicke in die Lebensgeschichten von Menschen, die vor langer Zeit gelebt haben.