Schon lange wusste man, dass in der Nähe der Grenchner Eusebiuskirche am Jurasüdfuss alte Knochen unter der Erde liegen. Seit dem frühen 19. Jahrhundert hatten Neugierige und Naturforscher dort immer wieder nach Überresten gegraben.
Trotzdem war die Überraschung gross, als bei der Grabung vor vier Jahren 60 bislang unentdeckte Skelette zum Vorschein kamen.
Ein spektakulärer Fund
«Es war ein ziemlich einmaliger Fund für die Region», sagt Mirjam Wullschleger von der Solothurner Kantonsarchäologie. Sie hat die Ausgrabung geleitet. Wer waren die Menschen, die hier vor 1400 Jahren, kurz nach der Völkerwanderung, ihre letzte Ruhe fanden?
Blicken wir zurück: Nach dem Zusammenbruch des Römischen Reichs Ende des 5. Jahrhunderts lebten in der heutigen Schweiz die Nachfahren der Gallorömer. «Romani», also Römer oder Romanen nannte sich die einheimische Bevölkerung. Sie war nach dem Abzug der römischen Truppen stark geschrumpft, besonders im östlichen Teil der heutigen Schweiz.
Im Lauf des 6. Jahrhunderts stiegen in West- und Mitteleuropa die germanischen Franken zur Vormacht auf. Auch die Schweiz wurde Teil des Frankenreichs, das sich vom heutigen Nordfrankreich über Belgien bis an den Niederrhein erstrecken. Die Franken unterwarfen die Burgunder, die Alemannen und andere Nachbarn.
Der frühmittelalterliche Röstigraben
Im 7. Jahrhundert wanderten dann aus dem heutigen Elsass und Süddeutschland alemannische Siedler in unser Land. Die Zugezogenen liessen sich vorwiegend im entvölkerten östlichen Teil des Mittellandes nieder.
Es entstand: ein romanischer Westen mit den Nachfahren der Gallorömer. Und ein alemannischer Osten mit den germanischen Siedlern. «Wir sprechen vom frühmittelalterlichen Röstigraben», erklärt Mirjam Wullschleger.
Alemannische Grabbeigaben
Dieser Graben verlief damals östlich von Solothurn, etwa bei Wangen an der Aare oder Oensingen. Das bedeutet: Die Stadt Grenchen, die heute zum deutschsprachigen Teil der Schweiz gehört, war im Frühmittelalter auf romanischem Gebiet. Die auf dem Grenchner Gräberfeld bestatteten Toten waren Romanen.
Allerdings: «Die Stadt lag im 7. Jahrhundert in einer Grenz- und Kontaktzone, in der auch germanische Gepflogenheiten durchgedrungen sind», sagt Mirjam Wullschleger. Die Grenze sei damals fliessend gewesen.
Lederetui mit kunstvollen Nieten
Darauf nämlich deuten manche Grabbeigaben hin, welche die Archäologinnen 2014 im Grenchner Gräberfeld gefunden haben. Die Romanen hatten seit dem 5. Jahrhundert auf Grabbeigaben verzichtet. Doch unter dem Einfluss der neuen alemannischen Nachbarn nahmen sie diesen Brauch offenbar wieder auf.
So erhielt zum Beispiel der Mann aus Grab 46 ganz nach dem Vorbild der alemannischen Nachbarn seinen Gürtel mit Tasche und Sax – ein Kurzschwert – mit ins Grab. Der Sax steckte in einem Lederetui, das mit kunstvollen Nieten verziert war.
Barbarisch und dunkel?
Auch in der Frauenmode zeigte sich vollendete Handwerkskunst. Grenchner Damen, die es sich leisten konnten, trugen breite Gürtel mit schweren, verzierten Gürtelschnallen.
Dieses Schmuckstück trug Frau damals gut sichtbar unter ihrem Umhang. Andere Frauen trugen zwar schlichtere Gürtel mit einfachen Eisenschnallen, dafür schöne Fingerringe, besetzt mit Glassteinen.
Das Frühmittelalter, das vom 5. bis zum 9. Jahrhundert dauert, gilt in der Forschung als «dunkle, barbarische» Zeit, und zwar deshalb, weil kaum schriftliche Quellen überliefert sind. Angesichts der archäologischen Funde relativiert sich das wenig schmeichelhafte Bild, findet Mirjam Wullschleger: «Man erkennt das grosse handwerkliche Können der damaligen Menschen.»
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Wissenschaftsmagazin, 4.8.18, 12:38 Uhr.