Zentimeter, Meter und Kilometer sind in unserem Alltag fest etablierte Grössen. In manchen Situationen greifen jedoch trotzdem viele Leute auf körperbasierte Angaben zurück. «Im Gespräch mit einer Nachbarin sagt kaum jemand: ‹dieser Ort ist soundso viele Kilometer entfernt›, sondern: ‹er liegt in 10-minütiger Entfernung›», sagt Mikael Manninen. Er ist Archäologe an der Universität Helsinki und hat zusammen mit zwei weiteren Kollegen eine Studie zum Thema verfasst.
Diese kommt zum Schluss, dass mindestens die Hälfte aller Kulturen weltweit Masseinheiten kennen, welche auf den Körper Bezug nehmen. Mit Elle, Arm- und Handspanne wird am häufigsten gemessen. Dass gerade diese so verbreitet sind, liege wortwörtlich auf der Hand, sagt Manninen: «Die Hand ist das offensichtlichste Messgerät.» Elle und Armspanne hätten sich wahrscheinlich als Variationen davon etabliert.
Distanzangabe in Kokosnussdrinks
Neben diesen populären Methoden ist das Forschungsteam auch auf Vergleiche gestossen, welche nur in einem bestimmten Kontext funktionieren. So etwa auf einer indischen Inselgruppe. Dort ist es üblich, Kanudistanzen in Form von Kokosnussdrinks anzugeben: Mit der Anzahl Kokosnüsse wird der Durst gemessen, der auf einer Kanufahrt zwischen zwei Orten entsteht. Eine Angabe, die nur Einheimische verstehen und sich schlecht übersetzen lässt. Einbezogen werden nämlich auch äussere Umstände wie das Wetter.
Das Durstempfinden oder die Handspanne sind variable Grössen, die zu Ungleichbehandlungen führen können. Schon früh in der Menschheitsgeschichte kamen deshalb standardisierte Grössen auf – etwa die königliche ägyptische Elle im dritten Jahrtausend vor Christus. Diese entspricht rund 52 Zentimetern.
Industrialisierung und Massenproduktion als Treiber
Standardisierte Messmethoden haben sich vor allem in grossen Gemeinschaften durchgesetzt. Handel mit anderen Staaten oder das Eintreiben von Steuern verlangten nach einheitlichen Massen. Die Industrialisierung und das Aufkommen der Massenproduktion haben deren Verbreitung stark beschleunigt.
In früheren Studien wurden körperbasierte Systeme häufig als primitiv abgestempelt. Mikael Manninen sieht das anders: Beide Arten des Messens hätten Vorteile. Mit dem Körper als Massstab erhalte man Produkte, welche perfekt mit einem Menschen harmonieren. Das sei zwar teurer, aber auch in unserer Gesellschaft noch gefragt – etwa bei massgeschneiderten Kleidern oder im Sport: «Wenn man in Finnland neue Ski und Skistöcke kauft, nutzt man die eigene Körpergrösse und Armspanne, um die richtige Grösse zu finden. Auch, wenn man dabei aus einem standardisierten Sortiment auswählt.»
Wenn Geräte auf einen Körper abgestimmt sind, verursachen sie seltener Verletzungen und sorgen für eine optimale Übertragung der Kraft. Diese Beispiele zeigen, dass traditionelle Messgrössen noch immer ihre Berechtigung haben. Und: Dass massgeschneiderte Kleidung oder individuell angepasste Gegenstände keine modernen Erfindungen sind, im Gegenteil. Was heute als Luxus gilt, war in der Geschichte der Menschheit lange Standard.