Im Moment ist er eine Baustelle, der zentrale Münsterhof in Zürich. Es entsteht – nach dem Willen des Volkes – ein grosser, autofreier Begegnungsort, auf dem ab 2016 auch kulturelle Veranstaltungen stattfinden werden.
Gleichzeitig mit dem Umbau werden im Untergrund neue Leitungen eingebaut – Gelegenheit für die Archäologen der Stadt, in den ausgehoben Gräben beim Fraumünster Zeugnisse der Zürcher Geschichte freizulegen und zu dokumentieren, wie «Einstein» in der aktuellen Ausgabe berichtet.
Die Äbtissin als «Fürstin von Zürich»
Das Kloster Fraumünster wurde im Jahr 853 nach Christus von König Ludwig, «dem Deutschen» gegründet. Er schenkte es zusammen mit grossen Ländereien seiner ältesten, frommen Tochter Hildegard (siehe Infobox unten).
In der Folge wurde das Kloster das Zuhause vor allem von Frauen des Hochadels. Die Äbtissinnen hatten dank grossem Landbesitz und ihren Verbindungen zu Königs- und Fürstenhäusern bedeutenden politischen Einfluss – in der Stadt und im Umland. Die Äbtissin galt als «Stadtherrin» und wurde auch als «Fürstin von Zürich» bezeichnet.
Die «Imagekampagne» der Klosterfrauen
In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts änderte sich alles. Die Machtbasis der noblen Klosterfrauen begann zu bröckeln. Das Bürgertum der Stadt strebte nach mehr Einfluss, und Streitigkeiten zwischen den konkurrierenden Adelsgruppen schwächten die Position der Äbtissinnen. Sie reagierten – mit einem grossen Um- und Ausbau der Klosterkirche. Zusätzlich wurde der Münsterhof zu einem grossen offenen Platz umgewandelt. Treibende Kraft dahinter war Elisabeth von Wetzikon.
In den Jahrhunderten davor hatten Friedhöfe einen grossen Teil des Münsterhofes bedeckt. Davon zeugen auch die laufenden Ausgrabungen der Archäologen. Sie stiessen auf unzählige menschliche Knochen und Skelette.
Treffpunkt von Herrinnen und Königen
Auf dem neu erbauten, repräsentablen Platz empfingen die «Stadtherrinnen» von nun an die kirchliche und königliche Prominenz. Der Habsburger König Albrecht I. kam zwischen 1299 und seiner Ermordung 1308 fast jährlich nach Zürich – und wurde von den Klosterfrauen jeweils prunkvoll auf dem Münsterhof empfangen.
«Es war eine erstaunliche mittelalterliche Image-Kampagne», sagt Dölf Wild, der Leiter Archäologie im Amt für Städtebau der Stadt Zürich. «Das neue Fraumünster und der Münsterhof waren eine hervorragende Bühne für den Auftritt der Stadtherrin und Reichsfürstin.» Die Äbtissin begrüsste den König vor dem Stadttor und ritt dann an seiner Seite unter dem Schall der Glocken zum Münsterhof und zum Kloster.
Nach dem Parkplatz wieder eine Bühne
Auch später, als die Bürgermeister und die Zünfte langsam die Macht eroberten, blieb der Münsterhof ein wichtiger Ort für feierliche Veranstaltungen und politische Kundgebungen. Archäologe Dölf Wild: «Der Münsterhof war 700 Jahre lang Platz und Bühne grosser Versammlungen.» Das soll er jetzt wieder werden – nach einem eher traurigen Intermezzo als Parkplatz.