Hinter der Weinkellerei Albert Mathier & Söhne, mitten in Salgesch – dort, wo es sonst nach Fondue und Raclette riecht – liegen neun Tonamphoren aus Georgien in der Erde vergraben. In jeder gären zwischen 400 und 1400 Liter Traubensaft, mit Stielen, Häuten und Kernen. Das Resultat ist ein urchiger Wein, der an den herben Vin jaune aus dem Jura erinnert.
Die Herstellungsmethode, die ohne Zusatzstoffe auskommt, haben die beiden Brüder Mathier auf einer Reise durch Georgien entdeckt. «Ich war sofort fasziniert», sagt Amadée Mathier, dessen Familie seit hundert Jahren konventionellen Wein in grossem Stil produziert. Seit vier Jahren nun experimentiert die Familie auch mit der buchstäblich antiken, georgischen Weinkultur.
Ein riskanter Gärprozess
Konventioneller Wein braucht Hefe zum Gären; oft kommt gar Schwefel hinzu. Und verläuft die Gärung einmal nicht planmässig, wird im Hightech-Gärkeller eingegriffen. Wein aus Tonamphoren kann dagegen ohne Zusatzstoffe gären. Die in den Traubenresten schon vorhandenen Mikro-Organismen setzen den Prozess in Gang. Die Uralt-Methode aus dem Südkaukasus ist also «bio» – ein Verkaufsargument, das die Mathiers gerne einsetzen.
Konkurrenz brauchen sie allerdings kaum zu fürchten, denn die Methode ist riskant. Tausende von Litern hat die alteingesessene Winzerfamilie in den wenigen Produktionsjahren bereits verloren. Aus dem Traubensaft wurde manchmal nicht Wein, sondern nahezu Essig. Doch dem erfahrenen Kellermeister Fadri Kuonen waren jedes Mal die Hände gebunden: «In solchen Fällen riechen wir das Malheur durch den Ton hindurch. Trotzdem wollen wir nicht eingreifen. Denn unser Credo ist seit Beginn: Entweder machen wir echten Amphorenwein oder wir lassen es sein.»
Geht etwas schief, kann es dafür viele Gründe geben. So ist das georgische Klima härter als jenes der Schweizer Sonnenstube. Walliser Trauben sind für den «unkontrollierten» Gärprozess manchmal zu reif. Fäulnisbakterien stören dann die Entwicklung des Weins. Und nicht alle Walliser Traubensorten sind für die Lagerung in der luftdurchlässigen Tonamphore geeignet.
Amphore versus Holzfass
Die wohl älteste Weinkultur der Welt – Archäologen datieren sie auf rund 7000 Jahre – war nicht nur im Südkaukasus, sondern auch im Mittelmeer-Raum verbreitet. Erst ab dem ersten Jahrhundert vor Christus wurden die «Kvevris» genannten Tonamphoren sukzessive durch Holzfässer ersetzt. Kein Wunder: Das Töpfern der riesigen Gefässe ist langwierige Handarbeit und der Transport mit jenem roher Eier zu vergleichen.
Wer glaubt, die riesigen Gefässe könnten in einem Weinkeller lagern, irrt: Nur dank des hohen Aussendrucks in der Erde bleibt eine gefüllte Amphore ganz. Sie muss sorgfältig und geradezu «hermetisch» vergraben werden, damit die dünne Tonwand nicht zerspringt.
Die Kvevri-Fangemeinde wächst
Ganz allein sind die Mathier-Brüder mit ihrer Idee nicht. Seit einigen Jahren etabliert sich weltweit eine kleine, zähe Fan-Gemeinde. Amphorenweine werden in einigen europäischen Ländern, aber auch in den USA und in Australien produziert. Und 2011 fand in Sierre die erste Jahresversammlung des Kvevri Clubs International statt. An solchen Treffen, aber auch im Internet, diskutieren die Fachleute über ernährungswissenschaftliche und mikrobiologische Aspekte.
So wird beispielsweise spekuliert, dass der Anteil an Antioxidantien bei Kvevri-Weinen höher sei. Dies ist vorläufig noch umstritten. Der Mehrwert der Amphorenweine liegt wohl eher im Verzicht auf Zusatzstoffe, der dem Trend zu naturbelassenen Genussmitteln entspricht. Und welcher Wein kann schon von sich behaupten, in einer Tonamphore aus Georgien gereift zu sein – «Wein mit Seele», nennen die Walliser denn auch ihren Kvevri-Wein.