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Der Run auf die Gen-Daten
Aus Kontext vom 19.06.2013. Bild: Keystone
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Mensch Der Run auf die Gen-Daten

Persönliche Gesundheitsdaten sind Gold wert für die Forschung – allen voran genetische Daten. Dahinter steht die Hoffnung auf massgeschneiderte Medikamente. Nun wollen gleich zwei Schweizer Forschungs-Projekte solche Daten im Grossmassstab nutzen. Doch: Wie gut geschützt sind die heiklen Daten?

Das gesamte Erbgut von 20'000 Menschen will der Lausanner Mediziner Vincent Mooser entschlüsseln und für die Forschung nutzen. Noch vor wenigen Jahren wäre das undenkbar gewesen, weil eine Erbgut-Entschlüsselung schlicht zu teuer war. Das Ziel von Vincent Mooser: der so genannten personalisierten Medizin zum Durchbruch zu verhelfen. Diese verspricht bessere Diagnosen und Therapien – abgestimmt auf unser individuelles Gen-Profil.

Schweizweite Biobank geplant

Seit Anfang Jahr wird jeder Patient am Unispital Lausanne gefragt, ob er sein Genprofil der Forschung zur Verfügung stellt. Über 3000 Blutproben haben Vincent Mooser und seine Kollegen bereits für ihre so genannte Biobank gesammelt – nur gerade jeder vierte Patient möchte nicht, dass mit seinem Gen-Profil geforscht wird. «Diese breite Zustimmung hat uns überrascht», sagt Vincent Mooser.

Biobank am Unispital

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Legende: http://www.unil.ch

Schon über 3000 Menschen haben seit Anfang Jahr ihr Genprofil der Forschung zur Verfügung gestellt. Alle Patienten des Unispitals Lausanne (CHUV) werden beim Eintritt angefragt, ob sie mitmachen möchten. Sie erhalten eine Informationsbroschüre und müssen ein Formular unterzeichnen (siehe Box unten).

Doch die Biobank in Lausanne ist nur der Vorbote. Vincent Mooser hat eine schweizweite Projektgruppe ins Leben gerufen, die eine nationale Biobank plant. «Unser Vorbild ist die UK Biobank», sagt Nicole Probst-Hensch vom Schweizerischen Tropen- und Public Health Institute in Basel. In der UK Biobank lagern Gewebeproben und medizinische Daten von 500'000 Briten und Britinnen. Die Basler Forscherin hofft auf 150'000 bis 200'000 Menschen in der Schweiz, die ihre genetischen und anderen Gesundheitsdaten für die Forschung freigeben.

Gesetzgebung hinkt hinterher

Doch solche Biobanken werfen brisante Fragen auf. So ist etwa der Umgang mit den sensiblen Gesundheitsdaten und Geweben rechtlich bisher nur lückenhaft geregelt. «Die Frage ist, ob die allgemeinen Datenschutzgesetze ausreichen», sagt die Juristin Brigitte Tag von der Universität Zürich. «Wem gehören diese Daten? Wer darf darüber alles verfügen?» Auch das neue Humanforschungsgesetz, das 2014 in Kraft tritt, enthalte nur oberflächliche Bestimmungen.

Auch heikle ethische Fragen werden durch diese Forschung aufgeworfen. Etwa: Wie viel Information über die eigenen Gene kann den Menschen überhaupt zugemutet werden? Am Unispital Lausanne können die Patienten wählen, ob sie informiert werden möchten, wenn die Forscher in ihrem Erbgut etwa auf Risikogene für Darmkrebs stossen. Doch die Information hat Grenzen: «Wir werden die Leute nur informieren, wenn es eine mögliche Behandlung gibt», sagt Vincent Mooser. Gegenbeispiel ist etwa die schwere Nervenkrankheit Chorea Huntington, für die es keine Heilung gibt. «In diesem Fall ist es besser, wenn man nicht weiss, dass man dieses Gen in sich trägt», sagt Vincent Mooser.

Wer entscheidet?

Informiert werden die Menschen also nur, wenn sich das Schicksal abwenden lässt. Ansonsten lässt man sie im Unwissenden. Dieses Vorgehen des Unispitals Lausanne ist von der kantonalen Ethikkommission abgesegnet. Trotzdem: Müsste nicht jeder und jede selber entscheiden können, was genau er erfahren möchte und was nicht? Vielleicht gibt es Menschen, die ihrem Schicksal in jedem Fall lieber ins Auge blicken – auch wenn dieses Schicksal Chorea Huntington heisst und einen frühen Tod bedeutet.

Noch ein Projekt: die «healthbank» 

Neben der Lausanner Bio-Gen-Bank, die auf die ganze Schweiz ausgedehnt werden soll, ist noch ein zweites Mega-Projekt im Gange. Führende Forscher – darunter der Initiator der Lausanner Biobank Vincent Mooser – haben vor einem Jahr den Verein «Daten und Gesundheit» gegründet. Treibende Kraft ist der Biologe und ehemalige ETH-Präsident Ernst Hafen. Noch in diesem Jahr soll der Prototyp für die so genannte «healthbank» gestartet werden. 10 Millionen Menschen im In- und Ausland sollen – so die Hoffnung der Initianten – ihre Gesundheitsdaten in die «healthbank» einlagern. Dann können Forscher darauf zugreifen und die Daten in Mega-Studien analysieren.

Infos zur «healthbank»

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Der Schweizer Verein «Daten und Gesundheit» plant eine Datenbank, in die 10 Mio. Menschen ihre Gesundheitsdaten – inklusive Gen-Daten – einlagern. Zugriff sollen Ärzte und Forscher haben. Organisiert wird die «healthbank» als Genossenschaft: Jeder, der Daten einlagert – und 100 CHF Kontoeröffnungsgebühr bezahlt – wird zum Mitbesitzer der Datenbank.

Der Nutzen der «healthbank» für den Einzelnen ist vergleichbar mit dem Nutzen des elektronischen Patientendossiers, das Bund und Kantone zurzeit aufbauen. Wer ein Konto bei der «healthbank» hat, kann seinen Ärzten etwa Zugriff auf seine gesammelten Daten ermöglichen und sich so Doppelspurigkeiten wie überflüssige Röntgenuntersuchungen ersparen.

Wie sicher sind die Daten – und wer hat Zugriff?

Der eigentliche Unterschied zum elektronischen Patientendossier liegt in der Nutzbarmachung der Daten für die Forschung. Welche Forscher im Einzelnen Zugriff auf die Daten in der «healthbank» haben, könne jeder selber entscheiden, sagt Ernst Hafen: «Man kann sagen, ich möchte meine Daten nur für akademische Forschungsprojekte freigeben oder für klinische Studien von der Pharmaindustrie.»

Doch wie sicher sind die hochsensiblen Gesundheitsdaten in der «healthbank» und in der Bio-Gen-Bank des Unispitals Lausanne? In vielen Fällen sind diese Daten nicht anonymisiert, sondern nur codiert, das heisst: Wer den entsprechenden Code kennt, weiss, von wem die Daten stammen. Sowohl am Unispital Lausanne als auch bei der «healthbank» bemühe man sich um grösstmöglichen Schutz der Daten, heisst es. Man arbeite mit den führenden Experten auf dem Gebiet zusammen, sagt Ernst Hafen. «Wir sind an der vordersten Front der Datensicherheit. Aber klar: Wir haben eine riesige Aufgabe vor uns.»

Vertrauen darf nicht verspielt werden

Die beiden Projekte werden mit grossem Tempo vorangetrieben. Die Versprechungen der personalisierten Medizin sind gross. Und die positive Resonanz, welche zumindest das Lausanner Projekt bei den Patienten auslöst, zeigt, dass die Forscher wohl auf die Unterstützung vielen Menschen zählen können. Das Vertrauen in die Forschung hierzulande ist generell gross. Nun dürfen die Forscher dieses Vertrauen aber nicht verspielen.

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