«Wir leben heute in einem ständigen Dämmerlicht», sagt Forscherin Annette Krop-Benesch, «während unsere Vorfahren den täglichen Wechsel von hellem Sonnenlicht von bis zu 200'000 Lux und bei Nacht von weit unter einem Lux erfuhren, verbringen wir den Tag bei etwa 500 Lux und die nächtliche Beleuchtung liegt selten unter 10 Lux.»
Mit der Einheit Lux beziffert die Expertin, die am Berliner Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei den Schlaf- und Wachrhythmus von Tieren erforscht, die Stärke der Beleuchtung, der wir ausgesetzt sind: durch Sonne, Mond und Sterne wie auch durch künstliche Lichtquellen.
Gemeinsam mit Biologen, Medizinern, Astronomen, Ingenieuren, Historikern und Städteplanern hat Krop-Benesch innerhalb des Forschungsverbundes «Verlust der Nacht» vor kurzem die Projekte der beteiligten Wissenschaftler koordiniert: Sie alle untersuchen die Auswirkungen von künstlichem Licht auf Mensch und Umwelt. Ihr Fazit: Unser Tag-Nacht-Rhythmus ist durcheinander geraten.
Licht als Gesundheitsrisiko
Zu wenig oder zu viel Licht zur falschen Zeit schadet der Gesundheit – und besonders betroffen sind Menschen, die nachts unter künstlichem Licht ihren Lebensunterhalt verdienen. Frühere Studien deuten darauf hin, dass es einen Zusammenhang zwischen Nachtarbeit und schweren Krankheiten gibt: Diabetes, Brust- oder Prostatakrebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Zwar gelten diese Erkrankungen als Ergebnis vieler Ursachen – doch eine wichtige Rolle scheint das Hormon Melatonin zu spielen, das im Körper dazu dient, den Tag-Nacht-Rhythmus zu steuern (siehe Infobox rechts).
Morgen- oder Abendtypus?
Wie stark belastend Nachtarbeit ist, scheint auch eine Typfrage zu sein. Ein Forschungsprojekt am Dortmunder Institut für Arbeitsforschung ermittelte per Befragung bei Probanden, ob sie sich von ihren Gewohnheiten her eher als Morgen-, Neutral- oder Abendtypus einschätzen würden. An etwa 150 von ihnen untersuchte man den Verlauf des Melatonin-Spiegels von 18 Uhr abends bis 12 Uhr mittags am folgenden Tag.
Wie sich zeigte, gibt es charakteristische Verläufe dieses Spiegels: So steigt beim Morgentypus das Melatonin bereits ab 18:30 Uhr deutlich an – man wird müde und geht zeitig zu Bett. Beim Abendtypus steigt das Melatonin erst ab etwa 22:00 Uhr allmählich an – diese Menschen bezeichnen sich selbst oft als Nachtmenschen und können bis spät in die Nacht arbeiten. Fazit der Arbeitsforscher: Dieser Typus eignet sich prinzipiell besser für Nachtarbeit, auch wenn die Gewöhnung an einen Arbeitsrhythmus eine Rolle spielt.
Eine Frage der Wellenlänge
Doch Nachtarbeit belastet selbst diese Menschen. Ein grosses Problem ist nach Ansicht der Dortmunder Forscher der hohe Blauanteil im Lichtspektrum von Leuchten in Werkhallen oder Büros. Er bringt den Melatonin-Haushalt durcheinander: Zwar wirkt «blaues» Licht zu Beginn der Nachtschicht noch belebend – doch gegen Ende der Arbeitszeit wird es zum Problem. Dann nämlich wäre Licht mit einem höheren Rotanteil geeigneter: Es würde dem Organismus signalisieren, sich per Melatonin auf Ruhe und Schlaf vorzubereiten.
Tagesablauf mit Licht simulieren
Eine technisch machbare Lösung des Problems wäre, die Beleuchtung im Lauf der Nachtschicht zu verändern und den Ablauf eines Tages zu simulieren: Gegen Ende der Schicht würde es kaum noch Blauanteile enthalten und die Belegschaft mit mehr Anteil im roten Lichtspektrum auf den Feierabend vorbereiten.
Solche Lichtsysteme existieren bereits – zum Beispiel in der Abteilung zur Behandlung Demenzkranker am Klinikum Wels in Österreich. Dem Tagesablauf entsprechende «Lichtfarben» sollen das Wohlbefinden der Patienten fördern. Und für Arbeitgeber könnten solche Systeme alleine schon deshalb interessant sein, weil sich mit ihnen kostspielige Ausfälle von erkrankten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern reduzieren liessen.