Rabab El Sherif öffnet die Holztür ihres Büros, schaltet Licht und Deckenventilator an und reisst die Fenster auf. Ihr Blick fällt auf das Hauptgebäude der Universität Kairo, ein prächtiger sanierter Kuppelbau aus dem frühen 20. Jahrhundert.
El Sherifs Büro hingegen erinnert eher an ein vernachlässigtes Museum. Verstaubte Vitrinen und antik anmutende Apparaturen lassen kaum vermuten, dass hier Forschung auf internationalem Niveau stattfindet. El Sherif ist Assistenz-Professorin für Elektrochemie. Sie entwickelt Solarzellen und erforscht Oberflächen.
Zu viele Studenten, zu wenig Geld
Im Moment arbeitet sie daran, Rohre für die Gasindustrie wetterbeständiger zu machen. «Dies ist das Gerät, mit dem wir hier arbeiten. Es ist nicht mehr ganz neu.» El Sherif lacht herzhaft, während sie ein graues Tuch von einem vergilbten Kasten zieht, der mit einem wuchtigen Röhrenmonitor verbunden ist. «Es ist ein deutsches Modell. Wir beten immer, dass es nicht kaputt geht, denn dann haben wir echt ein Problem.»
Die Reparatur oder gar ein neues Gerät kann sich die Uni Kairo nicht leisten. Es herrscht chronischer Geldmangel. Über 150'000 Studenten sind an der staatlichen Universität eingeschrieben. Damit ist sie noch lange nicht die grösste in Ägypten, aber eine der renommiertesten. Wer sich ein Studium an einer der teuren Pivat-Unis im Land nicht leisten kann, ist dankbar für einen Platz an der Uni Kairo.
Ich kann nicht als Entschuldigung anführen, dass ich von der Uni Kairo komme.
Auch Rabab El Sherif hat ihr gesamtes Studienleben hier verbracht. Die dreifache Mutter ist 39 Jahre alt. Ihr Weg bis zur Assistenz-Professur war lang und teuer. 17 Jahre und viele tausend Dollar hat sie gebraucht. Und Geld braucht sie noch immer: «Mit diesem Gerät sind zwar alle Experimente in der Elektrochemie möglich», El Sherif klopft mit der flachen Hand auf den vergilbten Kasten, «aber alles im Bereich der Oberflächenforschung muss ich extern machen und aus meinem eigenen Budget bezahlen.»
Dazu mietet sie sich regelmässig in privaten Institutionen ein, die über die nötigen Apparaturen verfügen. Das verschlingt einen grossen Teil der umgerechnet 750 Franken, die sie im Monat verdient. «Wenn ich in internationalen Fachmagazinen publizieren will, kann ich nicht als Entschuldigung anführen, dass ich von der Uni Kairo komme. Ich muss auf internationalem Niveau forschen.» Denn ohne Publikation keine Professur.
Immer weniger für die Bildung
Die Bedingungen für Wissenschaftler in Ägypten waren nicht immer so schwierig. In den 1950er-Jahren, so erzählt die Bildungsforscherin Farida Makar, galt die Universität Kairo als das intellektuelle Zentrum der arabischen Welt. «Ägypten hat sein Bildungssystem damals in andere Länder der Region exportiert.» Doch das ist lange her. Seit den 70er-Jahren, mit dem Beginn der Militärherrschaft, sind die staatlichen Bildungsausgaben kontinuierlich gesunken – und damit auch das Niveau.
Heute gibt Ägypten etwa 3,7 seines Bruttoinlandsprodukts für Schulen und Universitäten aus. In der Schweiz sind es mehr als fünf Prozent für gerade einmal acht Millionen Einwohner. Zudem ist die Wirtschaftsleistung des Landes mehr als doppelt so hoch wie in Ägypten. Das Land leidet noch dazu unter seinem enormen Bevölkerungswachstum. 87 Millionen Einwohner hat Ägypten im Moment und alle 15 Sekunden kommt einer hinzu. Demzufolge sind mehr als die Hälfte der Ägypter jünger als 25 Jahre. Jeder von ihnen muss zur Schule gehen und braucht eine Ausbildung. Damit ist der Staat hoffnungslos überfordert.
Die Uni ist für den Staat eine Art Kopfschmerz, mit dem er klarkommen muss.
Farida Makar vermutet hinter den knappen Bildungsausgaben aber noch einen anderen Punkt. «Der Staat hat realisiert, dass die Universität grundsätzlich ein Ort des Widersprechens ist. Die Uni ist für den Staat eine Art Kopfschmerz, mit dem er klarkommen muss.» Das gilt vor allem für die vergangen vier Jahre.
Seit der Revolution von 2011 vergeht kaum ein Tag ohne Demonstration gegen die aktuelle Regierung von Staatspräsident Abdel Fattah Al Sisi auf dem Campus. Um die zu unterbinden gleicht die Uni mittlerweile einer Festung: Schwer bewaffnete Sicherheitskräfte mit Metalldetektoren kontrollieren am Eingang jeden, der auf das Gelände will. Journalisten sind grundsätzlich unerwünscht, Berichterstattung quasi nur «undercover» möglich.
Die Elektrochemikerin Rabab El Sherif hält viel vom neuen Präsidenten. Er hat sie und andere junge Wissenschaftler vor kurzem eingeladen und sich ihre Sorgen angehört. Er habe versprochen, dass sich die Situation bald bessern werde. Allerdings geht El Sherif langsam die Puste aus. Sie überlegt, für längere Zeit ins Ausland zu gehen. «Ich bin ein bisschen verzweifelt. Ich möchte einfach mal gute Arbeit machen und dann zurückkommen.» Denn sie möchte ihr Wissen an ihre Studenten weitergeben – damit die es einmal leichter haben, als sie selbst.
Mehr zum Schwerpunkt «Welten des Islam»
Saudi-Arabien: Disneyland für Elite-Forscher
Die Elefantenuhr – technische Zauberei der islamischen Blütezeit