Sie leben im kalifornischen Mill Valley und sind eigentlich eine ganz normale Familie: Béa Johnson und ihr Ehemann Scott, zwei Söhne im Teenageralter und das Hündchen Zizou. Und doch ist etwas anders in dieser Familie. In ihrem Haus fehlt der Abfalleimer. «Abfall produzieren wir fast keinen mehr», sagt mir Béa Johnson bei unserem Treffen in Basel, wo sie kürzlich am Ecofestival als Gastreferentin aufgetreten ist. Sie zeigt auf ein Einmachglas, das wie eine Trophäe neben ihr steht. Das Glas enthält allerlei buntes, zerknülltes Material. «Da drin ist der Abfall, den meine Familie im letzten Jahr produziert hat», erklärt sie. Sie meint es ernst.
Fünf Regeln für null Abfall
Die Johnsons schaffen es tatsächlich, so wenig Abfall zu produzieren. Bloss – wie denn, Frau Johnson? Es sei ganz einfach, versichert sie: «Wir befolgen fünf Regeln, unsere fünf R. Auf englisch: refuse, reduce, reuse, recycle and rot.» Das wichtigste R sei nicht etwa das Recycling, sondern «refuse» – nein zu abfallintensiven Produkten zu sagen. «Denn Abfall vermeidet man am effizientesten, indem man möglichst wenige Produkte heimbringt, die später einmal im Abfallsack landen», erklärt Béa Johnson. Zwei weitere wichtige Regeln: Reduziere den Besitz aufs Nötigste und nutze Gebrauchtes beziehungsweise kaufe secondhand. Erst dann folgt das Recycling und natürlich das Kompostieren.
Klingt gut, aber nicht wirklich alltagstauglich. Oder wie soll man bitte in einem normalen Supermarkt abfallfrei einkaufen, wo doch alles in Plastikfolien steckt oder sonstwie verpackt ist? «Wir nutzen im Supermarkt halt nur den Offenverkauf für Fleisch, Fisch oder Käse und kaufen ansonsten in den jüngst zahlreicher gewordenen sogenannten Bulk-Läden ein. Dort kann man Alltagsprodukte aus grossen Behältern selbst abfüllen», sagt Béa Johnson. Aber auch Bäckereien, Reformhäuser, der Gemüsemarkt oder Bonbonläden seien gute Orte, um abfallfrei einzukaufen.
Einmachgläser statt Plastiktaschen
Damit ihre Einkaufstouren nicht zu aufwändig werden, kaufen die Johnsons nur einmal pro Woche ein, dafür dann richtig. Und immer mit ihrer Shopping-Ausrüstung: In mitgebrachten Stoffsäcken und Netzen verstauen sie Brot, Gemüse oder Seife. In eigene Einmachgläser lassen sie sich Fleisch, Fisch oder Käse abfüllen. Und in Einmachgläsern bewahren sie die Lebensmittel dann auch auf – daheim in ihrem Haushalt ohne Abfalleimer.
Auf den ersten Blick sieht dieser Haushalt ganz normal aus. Das weisse Holzhaus in der kalifornischen Stadt Mill Valley hat einen grünen Garten mit dezent verstecktem Kompost. Im Innern sieht man helle grosszügige Räume mit nur wenigen modernen Möbeln drin. Schlicht und ästhetisch wirkt alles – und erst in den Details ungewöhnlich. Im Badzimmer beispielsweise stehen kompostierbare Bambuszahnbürsten und daneben eine Glaszuckerdose, die allerdings keinen Zucker enthält, sondern Backpulver. Damit würde sich ihre Familie die Zähne putzen, erklärt Béa Johnson in Demonstrationsvideos auf ihrer Website und auf Youtube.
Nur der Laptop ist neu
Manche Dinge stellt Béa Johnson auch selbst her, so etwa ihre Augenschminke. Und – alles an ihr sei secondhand, scherzt sie in der Basler Hotelbar, wo die gebürtige Französin mir in eleganten, perfekt sitzenden Kleidern und hohen Stiefeletten gegenüber sitzt. Ja, sogar ihr iPhone habe sie gebraucht gekauft, nur der Laptop sei neu.
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So sinnvoll ein abfallfreier Lebensstil auch ist, er bedingt doch einiges an Planung und Verzicht, komme ich zum Schluss. Hat Béa Johnson nach sieben Jahren abfallfreiem Leben nicht manchmal genug von all den Einschränkungen im Alltag? Fast entsetzt reisst sie die hellen Augen auf. «Dass wir verzichten müssten, ist wohl der grösste Irrtum, der über den Null-Abfall-Lebensstil existiert», widerspricht sie.
Genau das Gegenteil sei wahr: «Wir haben heute mehr vom Leben als früher. Weil wir nur wenige Dinge haben, die wir einkaufen, transportieren, pflegen und wieder entsorgen müssen, gewinnen wir Zeit – Zeit, die wir miteinander und mit Freunden verbringen und dabei Tolles erleben; zum Beispiel sind wir nachts durch die Evergladesümpfe gepaddelt, vorbei an Seekühen, Krokodilen und einer Pythonschlange.» Zu alledem sei ihr Haushaltsbudget heute um 40 Prozent tiefer als vor sieben Jahren, «und das, obwohl wir die Lebensmittel heute in teureren Läden kaufen als früher.»
Erfolgreiche Selbstvermarkterin
Béa Johnson verkündet ihre Botschaft überzeugend. Ihr Buch «Zero Waste Home» ist ein Bestseller. Sie führt einen vielgelesenen Blog, ist zu Gast in bekannten Fernsehshows, an Universitäten und Tagungen in aller Welt.
Trotz allem: Von einem abfallfreien Leben sind wohlhabende Länder heute meilenweit entfernt. Gerade die Schweiz gehört zwar international zu den Vorbildern beim Recycling; zugleich jedoch produzieren Herr und Frau Schweizer am meisten Siedlungsabfall in ganz Europa. 700 Kilo pro Person landen Jahr für Jahr im Kehricht. Zum Vergleich: In Deutschland sind es gut 600 Kilo, in Italien etwa 500 und im europaweit abfallärmsten Albanien rund 260 Kilo.
Bulk-Läden auch in der Schweiz
Dennoch ist Béa Johnson felsenfest überzeugt: Der abfallfreie oder zumindest ein abfallreduzierter Lebensstil hat Zukunft. Das zeige ihr ihre Facebook-Fangemeinde. Die sei letztes Jahr sprunghaft gestiegen auf heute fast 50‘000 Menschen. Zunehmend würden Leute sie auch um Hilfe bei der Eröffnung neuer Bulk-Stores bitten. Von diesen Läden sind in letzter Zeit übrigens auch in der Schweiz ein paar entstanden, so etwa der Bachermärt in Zürich. Mit der App «Bulk» kann man solche Läden rund um den Globus finden. Die Liste wird laufend länger.
Nicht wachsen, sondern schrumpfen sieht Béa Johnson hingegen etwas anderes: Das Abfallglas ihrer Familie sei immer noch zu gross, scherzt sie. Wieder meint sie es ernst. Als Vorkämpferin der Zero-Waste-Bewegung hat sie ein klares Ziel: «Zero natürlich – null Abfall!»