2008 explodierten die Weltmarktpreise: Getreide, Öl und Milchprodukte kosteten mehr als doppelt so viel wie nur zwei Jahre zuvor. Für die Experten, die sich um die statistische Erfassung des Hungers kümmern, ist seither nichts mehr wie es war: «Die Ernährungskrise 2008 hat allen die Augen geöffnet», sagt Olivier Ecker vom angesehenen International Food Policy Research Institute (IFPRI) in Washington.
Er und viele Experten weltweit brüten zurzeit über der Frage: Wie können wir wissen, wieviele Menschen zusätzlich an Hunger leiden, wenn plötzlich die Preise explodieren? Und wie müssen wir Hunger überhaupt messen, um ihn dann auch richtig bekämpfen zu können? All das sind keine banalen Fragen.
Hunger-Indikatoren taugen zu wenig
Es existiert eine kaum überblickbare Anzahl an sogenannten Hunger-Indikatoren. Sie werden von der Uno, von Regierungen, Nichtregierungsorganisationen oder gar Firmen erfasst. Doch all diese Indikatoren versagten im Jahr 2008, als viele Arme sich ihr Essen nicht mehr leisten konnten. «Die Indikatoren, die hauptsächlich verwendet werden, haben diese Schocks nicht angezeigt und auch nicht vorhergesagt», sagt Olivier Ecker.
Falsche Resultate
Die UN-Behörde für Ernährung FAO, welche den wichtigsten Hunger-Indikator herausgibt, versuchte damals zwar abzuschätzen, wieviele Menschen wegen der hohen Preise an Hunger litten. Ihre Statistiker errechneten die enorme Zahl von 150 Millionen zusätzlichen Hungernden – weltweit griffen Journalisten die Zahl auf.
Doch: Die Zahl ist falsch. Die FAO zog die 150 Millionen später zurück; wieviele es wirklich waren, weiss niemand. «Der Druck der internationalen Gemeinschaft damals war gross», sagt Carlo Cafiero von der FAO. «Man wollte unbedingt wissen, welchen Effekt die hohen Preise auf die Armen haben. Wir haben also einen Versuch gemacht. Doch unsere Methode ist nicht präzise genug, um kurzfristige Phänomene zu erkennen.»
Neue Messmethoden sind gefragt
Es braucht bessere Messmethoden für den Hunger, darin sind sich der FAO-Statistiker Carlo Cafiero und der deutsche Wissenschaftler Olivier Ecker einig. Beide sagen: Man muss die Daten öfter erheben, um auch die Effekte von kurzfristigen Schocks wie Preis-Explosionen erkennen zu können. Beide Experten sagen: Man muss vermehrt die Menschen selbst fragen, wie sie essen.
Bisher wird – und das scheint zumindest für Laien merkwürdig – Hunger oft weit weg von den Betroffenen selbst erfasst. Seit Jahrzehnten stützt sich etwa die FAO auf statistische Daten: Wieviel Getreide produziert ein Land, wieviel exportiert und wieviel importiert es? Daraus errechnet die Uno-Organisation dann die Zahl der Menschen, die mit zu wenig Kalorien auskommen müssen. Lange gab es einfach keine besseren Daten.
FAO will Menschen in 150 Ländern befragen
Wie Hunger messen?
Doch vor wenigen Wochen hat die FAO mit «The Voices of the Hungry» ein neues Projekt gestartet. Es handelt sich um eine Befragung von rund 1000 Menschen pro Land. So wird etwa erhoben, ob sie sich zurzeit Sorgen um das Essen machen oder ob sie gar Mahlzeiten auslassen müssen.
Kriegt die FAO das nötige Geld zusammen, sollen mehr als 160'000 Menschen in 150 Ländern regelmässig befragt werden. Und weil die Daten schon drei Monate nach der Umfrage bei der FAO eintreffen, könne man auch kurzfristige Veränderungen – ausgelöst etwa durch Preisschocks – erkennen, sagt Carlo Cafiero.
Die neuen Statistiken geben Hoffnung
Der Experte Olivier Ecker vom Forschungsinstitut IFPRI begrüsst das neue FAO-Projekt. Doch er glaubt, die Menschen sollten nicht nur gefragt werden, wieviel sie essen, sondern vor allem, was sie essen – also wieviel Früchte, Gemüse, Fleisch oder Getreide jemand zu sich nimmt.
Denn nur eine ausgewogene Ernährung versorgt den Körper mit lebenswichtigen Vitaminen und Spurenelementen wie Eisen und Jod. «Diese sind absolut notwendig für die körperliche Entwicklung, etwa für das Wachstum bei Kindern, aber auch für die geistige Entwicklung», sagt Olivier Ecker. Und nur wer sich normal entwickle, könne sein Potential ausschöpfen und produktiv sein. «Das schlägt sich dann natürlich in der Produktivität der gesamten Gesellschaft nieder», so Ecker.
Eine gesunde, produktive Gesellschaft – damit dieses Ziel für jedes Land der Welt erreicht wird, braucht es natürlich noch mehr als nur genauere Statistiken. Doch immerhin sind diese die Grundlage für alles Weitere.