Wer sich in den Grossstadt-Dschungel wagt, verläuft sich gerne. Früher fragte man Passanten nach dem Weg, heute zückt der geübte Digitalist das Smartphone, ruft das Navi auf und folgt dem Pfeil auf dem Bildschirm. Auf Dauer scheint dieser Kniff aber keine Lösung zu sein.
Die Orientierung bleibt auf der Strecke
Denn je öfter wir die Navigation an ein Gerät delegieren, desto eher verkümmert unser Orientierungssinn. Dass drei Viertel aller Smartphone-Besitzer ein Navigationssystem verwenden, verheisst unserem biologischen Navi wenig Gutes.
Forscher der Universität Zürich geben nun Gegensteuer. Sie entwickeln einen digitalen Wegweiser, der uns sowohl leitet als auch den Orientierungssinn trainiert.
Das gemütliche Gehirn steht uns im Weg
Während ein guter Orientierungssinn in der Steinzeit überlebenswichtig war, sind heute anscheinend nur noch wenige Menschen damit bestückt – allen voran Taxifahrer.
Der Hippocampus – die für die Orientierung verantwortliche Gehirnregion – zeigt sich bei jenen Chauffeuren, die noch ohne Navi unterwegs sind, deutlich ausgeprägter als bei ihren genetisch gleich disponierten Fahrgästen.
Tägliches Training ist offensichtlich auch der Schlüssel zu einem intakten Orientierungssinn. Dabei steht uns unser Gehirn, ein mitunter gemütlicher Geselle, gerne einmal im Weg, erklärt der Neurobiologe Gerald Hüther: «Das Hirn ist eigentlich immer sehr zufrieden, wenn es ein Hilfsmittel gibt, das ihm die Arbeit abnimmt.» Das betrifft auch den Orientierungssinn.
Das Navi im Hirn reaktivieren
Wer sich orientiert, bestimmt die eigene Position im Verhältnis zu jener von gewissen Objekten in der Umgebung. Aus zahlreichen solcher Momentaufnahmen erstellt unser Gehirn eine mentale Karte, die uns ein Gefühl über unsere Position vermittelt. Wer nur noch aufs Navi starrt, vernachlässigt diese Fähigkeit.
Dagegen will ein Forscherteam der Universität Zürich im Rahmen des Projekts EMOtive etwas unternehmen. Die Grundüberlegung: Die Benutzer müssen ihren Blick vermehrt weg vom Smartphone hin zur realen Umgebung lenken und so das biologische mit dem digitalen Navi verknüpfen.
«Wir möchten nicht nur die Leute sicher von A nach B bringen», erklärt der Kopf der Gruppe, Sara Fabrikant, «sondern gleichzeitig auch die Menschen trainieren, so dass sie bei einem Systemausfall nicht hilflos im Raum verloren sind.»
Ein Kirchturm kann helfen
Die Forscher testeten dazu zwei verschiedene Navisysteme. Das eine Programm machte die User auf Wegmarken in unmittelbarer Umgebung der Teststrecke aufmerksam, während das andere sie dazu aufforderte, selbst solche zu erfassen. Anschliessend mussten die Benutzer den Rückweg ohne Navi bestreiten.
Erste Ergebnisse zeigen, dass diejenigen, welche ihre Orientierungspunkte frei wählten, viel besser zum Ausgangspunkt zurückgefunden haben.
Zusätzlich können sie vom Navi profitieren, wenn dieses ganz bestimmte Objekte automatisch anzeigt. So sind laut der Forscher insbesondere von weit aus sichtbare Objekte, ein Kirchturm etwa, orientierungsrelevant.
Wieder lernen, sich selbst zu orientieren
«Wenn das System mir hilft, diese relevante Information aus der Umgebung zu lesen und zu sehen, dann hilft es mir grundsätzlich für die Orientierung in verschiedenen Umgebungen», erläutert Fabrikant.
So führt uns das EMOtive-Navi wohl bald nicht nur zur gewünschten Adresse, sondern auch zurück zu unserem biologischen Navigationssystem.
Sendung: 3sat, nano vom 23.11.2018