Kennen Sie diesen ungerechten Moment: Sie joggen mit jemanden, der quasi nie Sport treibt, und trotzdem können Sie kaum Schritt halten? Da liegt der Gedanke nahe: «Daran sind bestimmt meine schlechten Gene schuld. Danke Mama und Papa!» Doch wie viel können Eltern wirklich dafür, dass ihre Nachkommen keine sportlichen Spitzenleistungen erbringen?
Klar ist, dass dies einerseits durch die vererbte genetische Grundlage und andererseits durch Umwelteinflüsse wie das familiäre Umfeld bestimmt wird. Fachleute sprechen von Natur versus Umwelt (zu Englisch «nature and nurture»). Doch zu welchem Verhältnis? «Es gibt Leute, die müssen Hanteln nur anschauen, und schon wachsen deren Muskeln. Und andere trainieren und trainieren und legen doch nicht zu», sagt Christoph Handschin, Zellbiologe und Professor am Biozentrum der Universität Basel. «Eine Komponente davon sind unsere Gene, klar, doch wir wissen bis heute nicht, wie gross dieser Anteil ist.» In Studien wird der Anteil der Genetik oft auf einen Wert um die 50 Prozent geschätzt.
Kein einzelnes Gen führt zum Sieg
Zwar konnten Forschende über 150 Gene identifizieren, die unter anderem mit Ausdauerkapazität, Muskelkraft, Stoffwechsel oder Verletzungsanfälligkeit in Verbindung stehen. Aber: «Die Annahme, dass es ‹das› Sportler-Gen oder ‹die› Champion-Genvariante gibt, ist falsch und irreführend», so Handschin, der mit Kollegen kürzlich einen Review zu dieser Thematik veröffentlicht hat. Nur in Ausnahmefällen hängt der sportliche Erfolg von einzelnen Genen ab. «Meistens tragen viele Gene einzeln wenig zur Leistung bei, aber in ihrer Summe sind sie ausschlagend.»
Der Haken dabei: In einer Studie wird eine Genkombination gefunden, in einer nächsten Untersuchung wiederum eine ganz andere Variante, die anscheinend zu Bestleistungen führt. «Die Datenlage ist schwach», resümiert der Zellbiologe. Zudem bleibe ungeklärt, warum überhaupt verschiedene Genvarianten zu unterschiedlichen Ausprägungen von Leistungskraft oder Ausdauer führen.
Auch das «Auf-die-Zähne-beissen-Gen» wurde nicht gefunden. Es ist zwar offensichtlich, dass unsere Psyche im Sport ein wichtiger Erfolgsfaktor ist. Etwa mentale Stärke, Motivation, Durchhaltevermögen oder das Ertragen von Schmerzen können über Sieg oder Niederlage entscheiden. Aber dieser Zusammenhang von Genetik und Sportpsychologie ist kaum erforscht.
Sportliche Veranlagung testen
Trotz dünner Datenlage werben private Anbieter mit Gentests, um herauszufinden, in welcher Sportart man am ehesten erfolgreich sein könnte. Handschin sieht solche Analysen kritisch: «Wenn ich genetisch zwar eher für Kraftsport prädestiniert bin, aber nicht gerne ins Gym gehe, macht mich diese Auswertung nicht sportlicher.» Denn die Forschung zeigt: Wer keine Freude am Sport hat, hört damit wieder auf. «Für meine Gesundheit ist es viel nachhaltiger, auf die Sportart zu setzen, die ich gerne betreibe.»
Dass die Gene eine faule Ausrede sind, um den Sport bleibenzulassen, zeigen auch Zwillingsstudien wie jene aus dem letzten Jahr. Dabei wurden Zwillinge untersucht, die trotz ähnlichem Erbgut und Umfeld dann im Erwachsenenalter unterschiedlich oft Sport trieben. Jener Zwilling, der sich mehr bewegte, wurde dadurch deutlich leistungsfähiger. Daraus zieht Handschin: «Mit seinem Verhalten kann man viel für seine Gesundheit bewirken und seine ‹schlechteren› Sportler-Gene wettmachen.»