- Über die Jahrhunderte verwandelte die Seefahrt die Meere zu wichtigen Räumen für wirtschaftliche, kulturelle und politische Entwicklungen.
- Das Mittelmeer war schon für die Römer ein wichtiger Lebensnerv; Wikinger und Chinesen drangen mit ihren Schiffen weit vor und besuchten andere Kontinente.
- Die Eroberung der Meere brachte vielen Leid: in Form von Krankheiten, Sklaverei oder als tödlicher Fluchtweg.
3'000 Jahre Geschichte mit Meer
Die Meere spielten zu unterschiedlichen Zeiten ganz verschiedene Rollen. Am Anfang bildeten sie überall unüberwindbare Barrieren. Wer sich zu weit hinauswagte, spielte in erster Linie mit seinem Leben.
Später schafften es die Menschen, die Meere zu überqueren, sie zu kartieren und dadurch zu beherrschen. Die Meere verwandelten sich zunehmend in Räume, in denen Handel sowie kultureller und politischer Austausch stattfinden konnte. Auch gerieten die Meere nun zu Orten, wo man Machtpolitik betrieb und Schlachten schlug.
Erst auf dieser Grundlage konnte sich die moderne Weltkultur und -wirtschaft herausbilden: Heute werden rund 90 Prozent des Güterverkehrs über die Meere abgewickelt.
Das Werk «Zwischen Hafen und Horizont» des deutschen Historikers Michael North rückt die Bedeutung der Meere für die Weltgeschichte ins Zentrum und gewährt dadurch erhellende Einsichten in das Werden der modernen Kultur.
Mittelmeer als Lebensnerv des römischen Reichs
In der westlichen Welt begann die Eroberung der Meere im Mittelmeerraum mit der Besiedlung Zyperns und Kretas mehrere Jahrtausende vor Christus. Später waren die Phönizier und Griechen wegweisend. Sie kolonisierten den Mittelmeerraum und machten ihn als wirtschaftlichen Raum nutzbar.
Zu römischer Zeit war das Mittelmeer ein eigentlicher Lebensnerv des Reichs: Dank dem Meer war es möglich, Güter wie Weizen, Olivenöl, Farbstoffe und Wein zu transportieren – und dies in grossen Mengen.
Schätzungen gehen beispielsweise davon aus, dass im 1. Jahrhundert vor Christus rund 40 Millionen Amphoren italienischen Weins nach Gallien transportiert wurden. Die Gallier waren offenbar süchtig nach Wein aus dem Süden.
Die Wikinger segelten allen davon
Im frühen Mittelalter waren es die Wikinger, welche die Seefahrt für damalige Verhältnisse bis zur Meisterschaft beherrschten. Sie erschlossen die Nord- und Ostsee und drangen über Flüsse wie den Don oder die Wolga weit nach Osteuropa vor – bis ans Schwarze Meer.
Aber auch in westlicher Richtung ging es ungebrochen voran: über die britischen Inseln, Island und Grönland bis nach Nordamerika. Vermutlich bauten sie dort an verschiedenen Orten Lager und bewohnten diese über mehrere Jahre. Weshalb die Besiedelung wieder abbrach, ist umstritten.
Chinesen fuhren bis an die Ostküste Afrikas
Die Erschliessung maritimer Räume war keineswegs nur dem Westen vorbehalten. So spielte China im Indischen Ozean schon früh eine wichtige Rolle. China begann im Spätmittelalter mit der Expansion zur See.
Im 15. Jahrhundert entsandte der chinesische Kaiser Yongle mehrere Flotten über den Indischen Ozean bis ins Arabische Meer und an die Ostküste Afrikas. Sie standen unter dem Kommando eines gewissen Zheng He, einem Hofeunuchen.
Mit diesen Seereisen – lange vor Kolumbus, Vasco da Gama und Co. notabene – erschloss China eine maritime Seidenstrasse. Diese ersetzte teilweise den Landweg der Karawanenrouten, der das Abendland seit der Antike mit Zentral- und Ostasien verbunden hatte.
Das Leiden der Schwachen
Dass sich die Meere zu Räumen wandelten, in denen unterschiedliche Kulturen miteinander in Kontakt kamen, hatte schon immer auch seine Schattenseiten: so etwa den transatlantischen Sklavenhandel oder das Einschleppen von Krankheiten bei der Urbevölkerung Amerikas. Das Meer als Barriere hatte eben auch sein Gutes.
Und heute? Heute bedeutet das Meer für unzählige Flüchtlinge den Tod. Die Bilder von Menschen verstören, die verzweifelt versuchen, auf See untauglichen Booten von Afrika aus europäische Strände zu erreichen – dies umso mehr, weil es oft dieselben Strände sind, an denen sich wohlgenährte Touristen aus ganz Europa ein Sonnenbad genehmigen.
Mensch und Meer: Der Wind hat gedreht
Fast immer in der Geschichte hat das Meer den Menschen bedroht und nicht umgekehrt. Tsunamis demonstrieren eindrücklich die Gewalt der Ozeane. Sie lässt sich durch den Menschen nicht beherrschen.
Dennoch hat das Kräfteverhältnis zwischen Mensch und Meer etwa ab Mitte des 20. Jahrhunderts gedreht. Heute bedroht das menschliche Tun die Meere wie noch nie: Überfischung, Ölkatastrophen, intensiver Tourismus … Wie lange kann das Meer seine eminent wichtige Rolle für das Weltklima wohl noch wahrnehmen?
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 23. Februar 2016, 9 Uhr