Wenn Testpersonen in einem Labor Gerüche benennen sollen, dann kann das schon recht peinlich werden. Beim Schnuppern selbst vertrauter Gerüche wie Kaffee, Zimt, Zitrone oder Holz kommen die Antworten oft zögerlich und beziehen sich immer auf das Ursprungsobjekt: Holz riecht holzig, Zimt eben – na ja – zimtig. Das verbale Straucheln ist umso auffallender, als «Menschen bestens vermitteln können, was sie sehen», erklärt der Neurologe Jay Gottfried. Wir bezeichnen ja auch einen Vollmond als rund und nicht als vollmondartig.
Wie das Gehirn visuelle und Geruchsreize verschaltet
«Wenn wir ein rotes Auto sehen, dann aktiviert das etwa die Wahrnehmung für Farben und für Formen; vielleicht auch die Erinnerung an unser allererstes Auto oder Wissen über die Autofirma und deren Werbespots», meint Jay Gottfried, der seit vielen Jahren an der Northwesten University in Chicago den Geruchssinn studiert. All diese verschiedenen Informationen zusammengenommen tragen dazu bei, dass wir einen rotes Auto sofort sprachlich als solches benennen.
Doch Gerüche aktivieren primär das so genannte limbische System. Das heisst: Was uns in die Nase steigt, spricht direkt unsere Emotionen an. «Die Verbindung zwischen den Gefühls- und den Sprachzentren im Gehirn dürften weniger gut funktionieren», sagt Gottfried.
Diesen Eindruck scheinen auch bildgebende Methoden zu bestätigen: Beim
Sehen werden mehr Hirnareale aktiviert als beim Riechen.
Auf die Sprache kommt es an
Asifa Majid, Sprachforscherin an der Radboud Universität in den Niederlanden untersuchte das Verhältnis von Geruchssinn und Sprache auf andere Weise. Sie analysierte Alltagsgespräche in verschiedenen Sprachen dahingehend, wie oft die Menschen von Sinneswahrnehmungen sprachen, – also vom Hören, Sehen, Berühren, Schmecken und Riechen. In einer Sprache – Semai – redeten die Menschen auffallend häufiger übers Riechen als etwa in Englisch, Mandarin oder Laotisch. Semai zählt zur Gruppe der Orang-Asli-Sprachen Südostasiens und wird von indigenen Völkern Malaysias gesprochen.
Anhand zweier anderer Orang-Asli-Sprachen – Jahai und Maniq – untersuchte Asifa Majid, wie viele verschiedene Begriffe die Ureinwohner für die Bezeichnung von Gerüchen haben. Und fand eine erstaunliche Vielfalt. Wenn diese Menschen einen Geruch bestimmen, dann gibt es kein Zögern. Sie haben ausserdem mehr als ein Dutzend abstrakter Begriffe für Gerüche. Doch diese Begriffe bedeuten auch etwas anderes.
Der Begriff «pʔus» beschreibt in Jahai den Geruch von altem Reis, gekochtem Kohl, von Pilzen sowie von einigen Hornvögeln. «Freilich hat jedes Ding oder Tier seinen eigenen, ihm typischen Geruch. Aber: Es gibt etwas Gemeinsames bei diesen Gerüchen, das die Jahai erkennen und daher mit demselben Begriff benennen», erklärt Majid.
Leben in einer duftintensiven Umwelt
In der Hierarchie der Sinne ist der Geruchssinn bei diesen Jägern und Sammlern ganz oben angesiedelt. Das zeigt sich schon im Alltag: Die Jahai verwenden Stücke von hohlen Stämmen bambusähnlicher Bäume als Behälter. Ein frisch geschnittenes Stück wird sofort beschnuppert. Und nach dem Geruch wird entschieden, ob es etwas taugt oder nicht.
Asifa Majid vermutet: In einem geruchsintensiven Lebensraum wie dem Regenwald entwickeln Menschen zwangsläufig ein anderes Verhältnis zu Gerüchen. Und das wirkt sich auch auf die Sprache aus. Doch ist dieses engere Verhältnis zu Gerüchen nun angeboren oder erworben? «Ich würde sagen, es hängt damit zusammen, wie Menschen aufwachsen», meint die Forscherin. «Das wirft nun aber die Folgefrage auf: Haben die Jahai irgendwie eine bessere Verbindung im Gehirn zum Sprachzentrum entwickelt; oder ist uns im Laufe der Jahrhunderte etwas abhanden gekommen?»
Wenn sich tatsächlich herausstellen sollte, dass eine duftintensive Umgebung sich auch sprachlich auswirkt, müssten die hundert Jahre alten europäischen Texte vor einem bunten Geruchsvokabular nur so strotzen. Denn eines ist gewiss: Das Miteinanderleben damals stank, im wahrsten Sinn des Wortes, zum Himmel.