Rennvelo, Mountainbike, Gravel - Velomodelle im Gesundheitscheck
Aktuell zeigen Sportler und Sportlerinnen an der Tour de Suisse, wie schnell man mit einem Rennvelo sein kann. Weniger schnell, dafür technisch anspruchsvoll fährt es sich mit dem Mountainbike. Aber ist unser Körper überhaupt fürs Velofahren geeignet?
«Der Mensch ist aufgrund seiner Anatomie fürs Gehen gemacht», sagt Martin Keller, Sportwissenschaftler der Universität Basel. Im Laufe der Evolution hat sich der Mensch über Jahrtausende an diese Fortbewegungsart angepasst. Das Velo gibt es erst seit etwas mehr als einem Jahrhundert.
Nichtdestotrotz: Unser Körper kann sich auch auf die Geometrie der Velos abstimmen. Die Muskulatur passt sich im Laufe des langfristigen Trainings an das Anforderungsprofil einer Sportart an. «So kann zum Beispiel der Musculus Rectus Femoris, ein Teil des vorderen Oberschenkelmuskels, bei Velofahrern und Läufern in unterschiedlichen Längen die optimale Kraft generieren», so der Sportwissenschaftler.
Untersucht hat dies schon sehr früh der Schweizer Biomechaniker Walter Herzog. Diese muskulären Anpassungen bedeuten aber auch, dass eine Triathletin es nicht schaffen wird, so schnell Rad zu fahren wie ein Rennvelofahrer.
Knackpunkt Sitzposition
Auch der beste Radsportler hat mit den Nachteilen seines Sportgeräts zu kämpfen. «Auf dem Rennvelo nimmt man eine sehr extreme Körperposition ein», so Keller. Rücken und Nackenschmerzen können die Folge davon sein – erst recht, wenn man den Körper nicht über Jahre an die Position angewöhnt hat oder das Velo nicht auf individuelle Körpermasse eingestellt ist. Studien zeigen, dass eine starke Rumpfmuskulatur Rückenschmerzen verhindern kann.
Mountainbikerinnen und -biker haben hingegen oft mit Handgelenkproblem zu kämpfen, weil sie durch technisch anspruchsvolle Trails bergabwärts mehr Druck ausgesetzt sind. Oft treten die Schmerzen auf, weil der Winkel des Vorbaus nicht richtig eingestellt ist, der Lenker zu breit oder zu schmal ist, der Durchmesser der Griffe nicht zur Handgrösse passt oder die Sitzposition nicht auf die Lenkerhöhe abgestimmt ist.
Velo richtig einstellen – eine komplizierte Angelegenheit
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Die Normeinstellungen eines Velos sind oft nicht optimal, weil die Bein- und Oberkörperlängen von Person zu Person stark variieren. So kann es sein, dass zwei Personen mit gleicher Körpergrösse ganz unterschiedliche Proportionen haben.
Hat jemand in Relation zur ganzen Körperlänge einen langen Oberkörper, so sitzt er logischerweise aufrechter. Mit kürzeren Beinen wird der Sattel tiefer eingestellt und aufgrund des längeren Oberkörpers wird die Vorlage des Oberkörpers reduziert. Das bedeutet also: um das Velo perfekt einzustellen, ist nicht nur die Gesamtkörpergrösse relevant, sondern auch die Länge der verschiedenen Körperteile.
Erst wenn diese Längen bekannt sind, können Feinheiten am Velo individuell angepasst werden. Viele Hersteller bieten ein Bike-Fitting an, um Velo und Körper perfekt aneinander anzupassen.
Um Fehlbelastungen zu vermeiden, sei es grundsätzlich entscheidend, wie gut das Velo auf die Fahrerin angepasst ist, so Keller. Velofahren hat durchaus auch Vorteile: Beispielsweise ist die Sportart im Vergleich zum Laufen eine gelenkschonende Art, sich aus eigener Kraft fortzubewegen.
Velomodelle wechseln
Anatomisch gesehen würden sich die meisten auf einem Stadtvelo oder Mountainbike mit aufrechterer Position am wohlsten fühlen, so Keller: «Das erklärt den Hype ums Gravelbike». Als eine Mischform aus Mountainbike und Rennrad vereint es beide Welten - Schnelligkeit und Komfort. Seine Geometrie erlaubt eine einigermassen aufrechte Sitzposition und es ist gleichzeitig windschnittig und schnell.
Das Gravel – die Symbiose aus Rennvelo und Mountainbike
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Andy Kessler ist Mountainbiker der ersten Stunde, heute fährt er am liebsten mit dem Gravelbike durch die Gegend. Diesen Velotypus hat der Schweizer Radpionier mitgeprägt. Vor zehn Jahren gründete er mit Gerard Vroomen die Firma Open Cycle, die im Segment der Gravelbikes zu den Führenden gehört. Davor machte Kessler die Schweizer Radfirma BMC gross. Seit fast 35 Jahren ist der Basler nun in der Branche tätig.
SRF Wissen: Warum steigen Sie am liebsten aufs Gravelbike?
Andy Kessler: Das Gravel ist die perfekte Symbiose aus einem Rennvelo und einem Mountainbike: Lenker aus dem Rennbereich, Komfort und Reifendicke vom MTB inspiriert. Wenn ich mit dem Gravel unterwegs bin, muss ich nicht gross planen. Ich kann unterwegs entscheiden, wo ich abbiegen will, weil ich mit diesem Velotyp auf befahrenen Strassen zurechtkomme, aber auch auf Natursträsschen guten Halt habe. Free Ride wäre der bessere Name als Gravel, weil ich wirklich frei fahren kann.
Wo hat das Gravelfahren seinen Ursprung?
Es gibt keinen klaren Ursprungsort, weil es gewisse wichtige Elemente dieses Velos schon seit Jahrzehnten gibt. Es kommt aus dem Tourenbereich aus Amerika, dort fanden auch die erste Gravelrennen statt. Später entdeckten die Engländerinnen und Engländer das Gravelbike. Erst in den letzten Jahren wurde es in der Schweiz, in Deutschland und Österreich beliebt.
Unterdessen ist ein regelrechter Hype entstanden – warum?
Auf den Strassen wird es immer hektischer. Die zunehmende Zahl an Autofahrerinnen und Autofahrern macht es schwieriger, sich mit dem Rennvelo durch den Verkehr zu schlängeln. Das Gravel bietet mehr Stabilität und Sicherheit. Zudem vermute ich, dass es sich herumgesprochen hat, dass das Gravelbike so breit einsetzbar ist: von der Velotour bis zum Pendlergefährt. Und der Mythos, dass man mit dünneren Reifen schneller fährt, wurde revidiert. Die Pandemie hat den Trend zusätzlich befeuert. Viele Menschen sind vom ÖV aufs Velo umgestiegen.
Wird dieser Trend anhalten?
Ja, dieser Markt ist noch nicht ausgeschöpft und das Gravel wird immer bekannter. Grundsätzlich gehe ich davon aus, dass Velos als Fortbewegungsmittel weiter an Bedeutung zunehmen werden.
Was wird uns in den nächsten Jahren rund ums Velofahren am meisten beschäftigen?
Die E-Mobilität. Momentan ist die steht Technologie der E-Bikes noch ganz am Anfang, aber diese wird sich schnell weiterentwickeln. Beispielsweise könnten Batterien um einige Kilogramm leichter werden und darum die Velos mit Motoren noch alltagstauglicher werden.
Der Tipp: Zwischen verschiedenen Velomodellen wechseln, um den Körper unterschiedlich zu belasten. Es lohnt sich auch, regelmässig zu dehnen und exzentrische Kraftübungen zu machen, sprich solche Bewegungen, die mit den Muskeln gebremst werden wie bei der Beinpresse. Das hilft gegen Muskelverkürzungen, die durch die gebeugte Haltung und das monotone Bewegungsmuster auf jedem Velomodell eine Gefahr sind. Insbesondere der Oberschenkel, die Waden sowie der Hüftbeuger können betroffen sein.
Die Nachwuchstalente des Schweizer Radsports trainieren lange «polycyclid», sprich unterschiedliche Disziplinen mit den entsprechenden Velomodellen. Erst später spezialisieren sie sich.
«Jede Disziplin erfordert andere Skills», sagt Lucas Schmid, Sportwissenschaftler und Ausbildungsverantwortlicher bei Swiss Cycling. Auf dem Mountainbike (MTB) eignet sich eine Fahrerin mehr koordinative und technische Fähigkeiten an, auf der Bahn lernt sie taktisch in einem engen Feld und mit höheren Tempi zu fahren. Und sogar mit E-Bikes wird trainiert.
Neben dem Fakt, dass E-MTB eine Disziplin des MTB Sports darstellt, wird das E-MTB auch spezifisch im Training der MTB Athletinnen und Athleten integriert. «Die E-MTB ermöglichen den Athleten während der gleichen Zeit eine höhere Quantität an Techniktraining, da die Aufstiege schneller und mit tieferer Intensität absolviert werden können», sagt Schmid.
In Australien wurde das Training mit E-motorisierten Zeitfahrrädern auf die Spitze getrieben. Diese Räder ermöglichten den Athleten bei tieferer Intensität mit wettkampfspezifischer Geschwindigkeit zu trainieren und dadurch die spezifische Trainingszeit zu erhöhen.
Also auch im Spitzensport gilt: Hauptsache Rad, also möglichst lange verschiedene Disziplinen trainieren.
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