Öl- und Gasbohrinseln gibt es im Mittelmeer seit den 1960er-Jahren. Sie seien auch schon aktiver gewesen als heute, sagt Fabrizio Borsani vom Ispra, dem italienischen Institut für Umweltschutz und -forschung.
In Teilen des Mittelmeers zeichnet sich aber seit ein paar Jahren wieder ein Aufschwung ab. Allgemein ist das Interesse an der Erschliessung neuer Öl- und Gasquellen aus dem Mittelmeer gestiegen.
Eine Entwicklung, die aufhorchen lässt. Widerspricht sie doch den weltweiten Klimazielen, denen zufolge fossile Brennstoffe reduziert werden sollen.
Überdies ist das Mittelmeer als kleines Binnenmeer ein besonders sensibler Lebensraum, der schon heute durch Verschmutzung, intensive Schifffahrt oder zunehmenden Unterwasserlärm stark belastet ist.
Wenig Transparenz
Doch welche Zusatzbelastung verursacht die Öl- und Gasindustrie im Mittelmeer?
Genau sagen kann das kein Experte. Denn es ist Sache der Länder, welche Daten sie zu Öl- und Gas-Projekten in ihrem Hoheitsgebiet veröffentlichen. «Es gibt kein internationales Register», sagt Fabrizio Borsani.
Eine Studie, mitverfasst von der Schweizer NGO Ocean Care, hat die verfügbaren Daten zusammengetragen und hält fest: Im gesamten Mittelmeer dürfte es 230 Öl- und Gasplattformen geben.
Im EU-Teil des Mittelmeers liegen diese Offshore-Plattformen vor Italien, Griechenland, Spanien und Kroatien. Wobei nur Italien grössere Mengen fördert, und zwar nicht nur Gas, sondern auch Öl.
Das verrät eine Statistik des italienischen Ministeriums für wirtschaftliche Entwicklung.
Rohöl aus der Adria
Demnach fördert Italien heutzutage rund vier Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr, was rund fünf Prozent des italienischen Gas-Gesamtverbrauchs ausmacht.
Beim Öl liegen die Fördermengen viel tiefer, doch immer noch etwa auf dem gleichen Niveau wie vor zehn Jahren. 650’000 Tonnen Rohöl flossen 2017 aus den Bohrlöchern auf Sizilien, im ionischen und adriatischen Mittelmeer.
Doch Italien sei klein im Vergleich mit anderen Öl- und Gasnationen im Mittelmeerraum, sagt die selbständige Wirtschafts- und Energieberaterin Cornelia Meyer. «Viel wichtiger sind Algerien, Libyen und neuerdings Ägypten.»
Riesige Gasfunde
Wie aktiv Algerien und Libyen im Mittelmeer sind, ist unbekannt. Doch in Ägypten und überhaupt im östlichen Mittelmeer wurden jüngst riesige neue Gasfelder entdeckt: Das kleinste heisst Aphrodite, liegt vor Zypern und soll 80 Milliarden Dollar wert sein. Deutlich grösser sind Tamar und Leviathan vor Israel.
Noch grösser ist Zohr vor Ägypten. «Mit 850 Milliarden Kubikmetern ist es das bisher grösste Gasfeld, das je im Mittelmeer gefunden wurde», sagt Geophysiker Dieter Franke von der deutschen Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe.
Zohr enthält so viel Gas, dass Ägypten seine rund 100 Millionen Einwohner wohl ab Ende 2018 selbst versorgen kann, jahrzehntelang. Dies habe nun Israel motiviert, nach Tamar auch das grössere Leviathan-Feld auszubeuten, sagt Franke.
Konzerne stecken das Terrain ab
Die Suche nach Gas und Öl werde vor allem im östlichen Mittelmeer vorangetrieben, doch auch im gesamten Mittelmeer nähmen die Anträge für die Öl- und Gas-Exploration zu, sagt Ocean Care-Präsidentin Sigrid Lüber.
«In den Jahren 2005 bis 2013 sind die beantragten Flächen gerade ums Zehnfache gestiegen – auf 675’000 Quadratmeter. Das entspricht einem Drittel des Mittelmeers!»
Auch wenn nicht überall in diesem Drittel aktiv nach fossilen Brennstoffen gesucht wird, der Trend ist klar: Immer mehr Länder und Firmen haben Pläne, im Mittelmeer neue Öl- und Gasvorkommen aufzuspüren und stecken vorsorglich schon mal das Terrain ab.
Sigrid Lüber ist aufgeschreckt ob dieser Entwicklung. «Die Suche nach fossilen Rohstoffen im Meer läuft mit extrem lärmintensiven Schallkanonen«, sagt sie. «Wale und Delfine können sich in dem Lärm verirren und stranden, und auch für kleinere Meerestiere ist das problematisch, weil viele sich akustisch orientieren.»
Zu laut, zu lax
Der zunehmende Lärm unter Wasser ist für Organisationen wie Ocean Care heute das akuteste Problem, das die Öl- und Gasindustrie massgeblich mitverursacht. Denn zur Eindämmung des Lärms gibt es noch kaum griffige Vorschriften.
Zwar müssen Firmen neuerdings Umweltverträglichkeitsgutachten vorlegen, doch dürfen sie die laut Lüber auch selber schreiben, ohne klare Vorgaben zum Inhalt und Umfang. Eine Alibiübung also.
Weiter gediehen sind gewisse Regelungen zur Eindämmung von Ölverschmutzungen im Meer. Hier gelten mittlerweile strengere Auflagen für Schiffe, sagt Tatjana Hema vom Uno-Umweltprogramm Unep. Die Unfälle von Öl-Tankern und Öl-Lecks im Mittelmeer seien denn in den letzten Jahren auch zurückgegangen.