Der Bund will die Höchstwerte für Pestizide in Oberflächengewässern anpassen. Manche sollen strenger werden, andere aber – wie fürs Glyphosat – weniger strikt. Das hat in erster Linie Folgen für Tiere und Pflanzen, denn für unser Essen und Trinken gelten separate Höchstwerte.
Stichkontrollen als Sicherheit
Dass diese Höchstwerte nicht überschritten werden, dafür sind in der Schweiz die Kantone zuständig. Sie machen Stichproben – oft dort, wo sie begründeten Verdacht auf eine Überschreitung haben – und mahnen Produzenten ab oder ziehen zu stark belastete Esswaren vom Markt.
2743 solcher Kontrollen wurden dem Bund im letzten Erhebungsjahr aus der ganzen Schweiz gemeldet, 2156 davon enthielten Spuren von Pestiziden, allerdings nur 240 über dem gesetzlichen Höchstwert – meist Ware aus asiatischen Ländern.
«Grundsätzlich problemlos»
Grundsätzlich müsse man sich keine Sorgen machen wegen der Pestizidrückstände, sagt der Schaffhauser Kantonschemiker Kurt Seiler. Auch beim Trinkwasser würden die gesetzlichen Höchstwerte lediglich in einem Prozent der Proben überschritten.
Allerdings verlassen sich Kantonschemiker wie Kurt Seiler bei ihrer Einschätzung auf die gesetzlichen Höchstwerte. Festgelegt werden diese vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV – aufgrund von Tierversuchen der Pestizidhersteller. Aber sind die Höchstwerte streng genug? Die Meinungen gehen auseinander. Ja, sagt Stefan Kunfermann vom BLV: «Die festgesetzten Werte liegen bewusst tiefer als die Werte, die die Gesundheit gefährden könnten.»
Das sieht die Molekularbiologin Joëlle Rüegg anders. Sie forscht am renommierten Karolinska Institut in Schweden zu Pestiziden und ihren Auswirkungen auf die Gesundheit. Die Höchstwerte würden den wissenschaftlichen Erkenntnissen hinterherhinken. In den Tierversuchen werde zum Beispiel das Risiko für ungeborene Kinder oder geschwächte Organismen nicht berücksichtigt oder subtilere Effekte, die zum Beispiel zu Autismus führen könnten.
«Cocktail-Effekt» nicht berücksichtigt
Und noch etwas macht Joelle Rüegg Sorgen: «Es gibt viele Chemikalien und Pestizide, die das Hormonsystem und die Hirnentwicklung beeinflussen. Wenn diese zusammenwirken, ist der Effekt noch viel grösser.» Ein Problem dabei ist, dass bei Pestiziden nicht ein isolierter Wirkstoff ausgebracht wird, sondern ein ganzer Cocktail. Er besteht nicht nur aus verschiedenen Wirkstoffen, sondern auch aus Begleitstoffen, die beispielsweise das Spritzmittel besser sprühbar machen oder sein Eindringen in Schädlinge verbessern. Sie sind wesentlich schlechter untersucht und verstärken die Wirkung des Gifts oft drastisch, teilweise um das 800-Fache.
Nach heutigem Stand des Wissens ist das Risiko eines solchen Cocktail-Effekts nicht sehr gross.
Eigentlich sollten solche Cocktail-Effekte bei der Festsetzung der Höchstwerte gemäss der entsprechenden Verordnung des Bundes berücksichtigt werden. Doch das zuständige Bundesamt räumt ein, dass dies heute noch kaum geschehe. «Nach heutigem Stand des Wissens ist das Risiko eines solchen Cocktail-Effekts nicht sehr gross. Allerdings werden wir im Rahmen des «Aktionsplans Pflanzenschutzmittel» jetzt auch diese Mehrfachrückstände intensiver und genauer anschauen», sagt Stefan Kunfermann vom BLV.
Und: Pflanzenschutzmittel sind nicht die einzigen Gifte, die jeder Mensch täglich zu sich nimmt – Stichwort Kunststoff-Weichmacher beispielsweise, die hormonelle Prozesse ebenso beeinflussen können wie Pestizide. Welches Alltagsgift das individuelle gesundheitliche Fass zum Überlaufen bringt, die Fruchtbarkeit vermindern, Organschäden und Krebs auslösen, lässt sich schlussendlich kaum sicher feststellen. Erschwerend kommt hinzu, dass Männer und Frauen auf hormonaktive Stoffe komplett unterschiedlich reagieren, Schwangere und Kinder sensibler sind.
Abbauprodukte von Pestiziden bleiben während Jahren oder Jahrzehnten im Grundwasser.
Es gibt also durchaus noch offene Fragen. Doch davon ganz abgesehen, geht es vielen ums Prinzip. So etwa auch dem Kantonschemiker Kurt Seiler bezüglich Abbauprodukten von Pestiziden: «Sie sind nicht direkt eine Gefahr für die Gesundheit, aber sie bleiben während Jahren oder Jahrzehnten im Grundwasser, und Konsumentinnen und Konsumenten wollen natürlich keine solche Rückstände im Trinkwasser, sie wollen möglichst ein natürliches Trinkwasser zu sich nehmen.»
Tipps
Für diejenigen, die auf Nummer Sicher gehen wollen bezüglich Pestizidrückständen im Essen, geben Experten folgende Tipps:
- Kaufen Sie Bio-Produkte oder andere Lebensmittel aus naturnaher Produktion. Diese werden wenig oder gar nicht gespritzt.
- Greifen Sie lieber zu Tiefkühlkost als zu Produkten aus dem Gewächshaus. Tiefkühlkost wird nämlich saisonal produziert und braucht darum meist weniger Pflanzenschutz.
- Seien Sie vorsichtig bei Importware: Vor allem in Asien werden veraltete Pestizide eingesetzt, die bei uns aus gesundheitlichen Gründen längst verboten sind.
- Essen Sie vielseitig. Wer ständig das Gleiche isst, hat möglicherweise ein Klumpen-Risiko. Gewisse Gemüse und Früchte werden nämlich viel stärker gespritzt als andere.
- Abwaschen lassen sich Pestizide nicht gut. Schälen oder blanchieren wäre wirksamer. Allerdings verschwinden gerade beim Schälen auch viele Vitamine.