Betritt man als Besucherin oder Besucher das AKW Mühleberg, muss man zuerst mehrere Sicherheitsschleusen passieren. Um überhaupt in die Nähe des Atomreaktors zu gelangen, wird der persönliche Fingerabdruck mehrfach überprüft. Zudem trägt man ein Dosimeter auf sich, welches Alarm schlägt, falls die Strahlung in einen gefährlichen Bereich kommt.
Tonnenweise Material abmontiert
Einer, der dieses Prozedere tagtäglich durchläuft, ist Stefan Klute. Er ist verantwortlich für den Rückbau von Mühleberg. Eine Herkulesaufgabe. Wie geht er vor? «Das AKW wird buchstäblich zersägt», bringt der Ingenieur die Frage vereinfachend auf den Punkt.
Stück für Stück wird das AKW mit seinen 17'000 Tonnen Material entkernt. «Wir müssen jedes Teil mindestens fünfmal anfassen, dekontaminieren, neu vermessen und dann entsorgen. Deshalb dauert das Ganze so lang», erläutert Klute.
Gemäss Zeitplan dauert es zehn Jahre bis das AKW von allen radioaktiven Stoffen befreit ist. 2034 sollen alle Gebäude verschwunden sein.
Die Kosten für den Rückbau, die Entsorgung und die geologische Tiefenlagerung werden auf drei Milliarden Franken geschätzt.
Höchste Sicherheitsvorkehrungen
Im Reaktorgebäude tragen die Arbeiter gelbe Schutzkleider, die nach dem Verlassen des Gebäudes zurückbleiben. Eine Sicherheitsmassnahme, falls sie mit Radioaktivität in Berührung gekommen wären.
Klute zeigt das Lagerbecken, wo die hochaktiven Brennstäbe unter einer dicken Wasserschicht lagern. «Das Wasser schirmt die gefährliche Strahlung ab», versichert der Ingenieur, der in Deutschland schon einige AKWs verschrottet hat. Die Brennstäbe sind schon letztes Jahr aus dem Reaktor entfernt worden und klingen nun in einem autark gekühlten Becken ab.
Zersägen unter Wasser
Gleich daneben befindet sich der offene Atomreaktor. Auch hier schützt eine Wasserschicht vor der tödlichen Strahlung. Die Wasserstoffatome bremsen die Strahlung. Jeder Meter Wasser reduziert die Strahlung um einen Faktor 1000.
Dann ertönt plötzlich ein lauter Warnton. Der Hebekran setzt sich in Bewegung und fährt über den Reaktor. «Zurzeit finden Vorbereitungen zum Rückbau der Kerneinbauten statt», erläutert Klute. Der sogenannte Dampftrockner, eine Maschine, durch die der heisse Dampf strömte, bevor er auf die Turbine geleitet wurde, soll unter Wasser zersägt werden. «Wir reden hier von stark radioaktivem Material, deshalb finden die Arbeiten auch unter Wasser statt».
Klute betont , dass alle Arbeiten ferngesteuert seien und unter strengen Sicherheitsvorkehrungen stattfinden. «Es ist normale Sägetechnik, die für den Unterwassereinsatz adaptiert wurde. Bei den Arbeiten muss jeder Handgriff sitzen.»
Wie sicher ist der Reaktor?
Diese Rückbauarbeiten am offenen Reaktor hat Klute und sein Team jahrelang geplant. «Das Gefährdungspotential ist massiv runter gegangen. Es hat keine Temperatur und keinen Druck mehr in der Anlage», erläutert Klute und versichert, dass der offene Reaktor auch gegen Flugzeugabstürze und Erdbeben sicher sei.
Wieder ertönt der schrille Warnton. Der Hebekran wird in Position gefahren und auf das offene Reaktorgefäss gelassen. Im Kontrollraum überwachen Spezialisten die Bilder der Unterwasserkameras.
In einem Zeitungsinterview bezeichnete Klute seine Arbeit einst als Traum jedes Ingenieurs. «Es ist die Vielfältigkeit. Der Umgang mit einem Gefahrenstoff und die Komplexität, dass alle Rädchen ineinander spielen». Nach zwei Stunden im Reaktorgebäude ist der Rundgang zu Ende. Beim Ausmessen in der Schleuse sagt die Computerstimme: «Keine Kontamination».
Hinweis: Im 360°-Video spricht Tobias Müller von «Verdampfer», richtig wäre an dieser Stelle der Begriff «Dampftrockner».