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Ein Mann montiert ein Klimagerät unter einem Fenster.
Legende: Hotspot Asien Immer mehr Menschen in Asien können sich eine Klimaanlage leisten, so wie dieser Mann in Peking. Reuters

Sommerserie «Anfänge» Klimaanlagen: Luxuriöse Kälte

Die Philippinen sind eines der heissesten und feuchtesten Länder der Welt. Kein Wunder, werden Klimaanlagen hier immer beliebter. Dadurch verändert sich auch die lokale Kultur. Wie genau, das beschreibt die Sozialwissenschaftlerin Marlyne Sahakian im Interview.

SRF: Marlyne Sahakian, Sie haben gerade ein Buch über Klimaanlagen geschrieben. Woher kommt Ihr Interesse für diese Technik?

Marlyne Sahakian: Ich finde die Technik faszinierend, weil sie viele Bereiche des Lebens betrifft: Wie wir Häuser bauen, wie wir uns kleiden, wie wir arbeiten und was Komfort für uns bedeutet, all das hat mit dem Thema Klimaanlagen zu tun. Die Geräte verändern die traditionelle Kultur oder verschmelzen mit ihr. Auf den Philippinen kann man das im Moment gut beobachten. Dort ist es zum Beispiel üblich, gemeinsam in einem Zimmer zu schlafen. Nun schläft man eben um die Klimaanlage herum. Ganz so, wie man sich früher in kühlenBreitengraden nachts um den Herd versammelte.

Das heisst, die Familien besitzen nur eine Klimaanlage für ein Zimmer?

Genau, denn mehr können sich die meisten nicht leisten. Zurzeit verfügen erst etwa zehn Prozent der Bevölkerung über eine Klimaanlage. In der Hauptstadt Manila sind es mehr, auf dem Land weniger.

Viele Menschen wissen also nicht, wie sich klimatisierte Luft anfühlt?

Unsichtbare Technik

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Klimaanlagen liefern ein unsichtbares Produkt: kalte Luft. Darum werden sie in der sozialwissenschaftlichen Forschung oft übersehen. Dem will Marlyne Sahakian von der Universität Lausanne mit ihrem Buch entgegenwirken. Sie schildert darin, wie Klimaanlagen das Leben in Südostasien verändern – insbesondere auf den Philippinen.

Doch, viele kennen Klimaanlagen aus dem Büro. Büros sind oft klimatisiert, weil die Arbeitskleidung westlichen Standards folgt - mit Anzug bei den Männern und Strumpfhosen zum Rock bei den Frauen. Ohne Klimaanlage würde man da schwitzen. In der Freizeit wiederum suchen viele Filipinas und Filipinos die Kühle in Shoppingmalls. Dafür gibt es sogar ein eigenes Wort: «to go malling», was so viel heisst wie «Schaufenster bestaunen und sich dabei abkühlen». Je kälter eine Shoppingmall ist, desto teurer sind die Produkte dort. Gucci und Prada gibt es also quasi nur tiefgekühlt.

Ist die Kälte den Kundinnen und Kunden nicht unangenehm?

Nein, der Kälteschock ist gewünscht. Er ist auch ein Symbol für Reichtum und Modernität. Strom ist auf den Philippinen sehr teuer, deshalb sind Klimaanlagen für die meisten noch ein Luxus. Für die Elite hingegen sind die Geräte eine Notwendigkeit. Ab Oktober tragen reiche Filipinas und Filipinos Herbst- und Winterkleider aus Wolle oder Kaschmir - ganz nach dem Vorbild der westlichen Jahreszeiten. Dazu müssen sie ihre Häuser natürlich stark kühlen, denn der Winter auf den Philippinen ist zu heiss für Kaschmir.

Das klingt für uns in der Schweiz ziemlich absurd. Wie wird diese Mode denn auf den Philippinen wahrgenommen?

Kritik gibt es keine; der Westen ist eindeutig ein Vorbild beim Lebensstil. Das sieht man auch im Bauwesen: Da ahmen die Architekten die westliche Bauweise nach, mit viel Glas und Beton. Das ist für das philippinische Klima jedoch nicht unbedingt ideal. Die traditionellen philippinischen Häuser sind meist aus Bambus gebaut. Sie tragen grosse schattige Dächer und stehen auf Stelzen, so dass Luft von unten einströmen kann. Dadurch sind sie auf natürliche Weise klimatisiert. In der Tagalog-Sprache gibt es sogar ein Wort für ein frisches, angenehm belüftetes Haus: «maaliwalas». Doch dieses Wort ist fast verschwunden. Für künstlich klimatisierte Gebäude wird es nicht gebraucht.

Gesellschaftlich verändert sich durch die Klimaanlage auf den Philippinen also einiges. Schlägt sich das auch in der Politik nieder?

Nein, nicht wirklich. Der Wunsch nach einer Klimaanlage ist verständlich. Und immer mehr Filipinas und Filipinos können sich diesen Wunsch erfüllen, weil der Wohlstand wächst. Damit steigt aber auch der Energieverbrauch, aber Effizienz-Standards für Klimaanlagen, wie wir sie aus der Schweiz kennen, gibt es auf den Philippinen noch nicht. Einen Vorteil haben die Philippinen allerdings: Hier wird immer nur um die Menschen herum gekühlt. In den USA hingegen kühlt man ganze Häuser, auch wenn sich gar niemand drin aufhält.

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