Die Stromproduktion mit Wasserkraft gilt als ökologisch, sauber und wirtschaftlich rentabel. Denn Wasser wird nicht verbraucht und fossile Energieressourcen wie Kohle oder Erdöl können so geschont werden.
Doch der Bau von Staudämmen hat oft unabsehbare ökologische und soziale Nebenwirkungen: Menschen müssen ihr fruchtbares Land verlassen, die Fischwanderung wird unterbrochen, Regenwald wird abgeholzt. Hinzu kommt, dass die abgelegenen Orte, die vom Bau der Dämme stark betroffen sind, oft kaum von deren Nutzen profitieren, erklärt Wissenschaftsredaktor Thomas Häusler.
SRF: Der Bau von Dämmen hat weitreichende Folgen für die Umwelt – ist das überall so?
Thomas Häusler: Dämme sind meist Grossprojekte und haben entsprechende Auswirkungen. Oft werden an einem Flusslauf mehrere Dämme gebaut – dutzende Dämme an einem Flusslauf wie zum Beispiel am Mekong.
Oft werden Staudämme auch nicht im grösseren Zusammenhang betrachtet. Man sieht das beim Amazonas, wo immer mehr Dämme gebaut werden. Gesamtheitlich betrachtet wird das ganze System stark beeinträchtigt, kritisieren Umweltorganisationen.
Man kann nicht sagen, Dämme sind gut oder schlecht.
Die Weltbank hat 1998 eine Kommission ins Leben gerufen, die herausfinden sollte, ob die Dämme unterm Strich positiv oder negativ sind. Man kam zum Schluss: Die Dämme haben zwar viel gebracht wie Stromerzeugung und Bewässerung für die Landwirtschaft. Aber gleichzeitig verursachen sie auch viele Nebenwirkungen für die Umwelt, für die Fischereien und für die Menschen. Man kann also nicht sagen: Dämme sind gut oder schlecht.
Gibt es denn keine Möglichkeit, Dämme ökologischer zu bauen?
Dämme werden immer Auswirkungen auf die Umwelt haben. Wie schlimm dieser Eingriff in die Natur ist, kommt auch auf die Sichtweise an. Am Fluss Senegal in Westafrika gibt es zum Beispiel ein Abkommen zwischen den Anrainerländern Senegal, Mauretanien, Mali und Guinea. Das gilt unter Wasserexperten als vorbildlich.
Es wurde gemeinsam geplant, Projekte gemeinsam finanziert und betrieben. Es gibt einen Damm an der Flussmündung, um das Salzwasser aus dem Fluss zu halten, damit dort die Landwirtschaft besseres Wasser hat. Weiter oben am Fluss gibt es einen Damm für die Stromproduktion.
Trotzdem gab es Kritik, dass diese Bewässerung nur der Grosslandwirtschaft etwas gebracht hat.
Auch in der Schweiz sind Dämme ein grosses Thema. Auch hier gibt es noch Probleme, die angegangen werden müssen – zum Beispiel die Restwassermengen oder die Fischtreppen.
Bei den Fischtreppen gibt es die gute Lösung eigentlich noch nicht. Beim Restwasser schreibt das Bundesgesetz minimale Restmengen vor. Es braucht ja in Fluss- und Bachbetten immer ausreichend Wasser, um die vielfältigen Funktionen der Gewässer zu gewährleisten. Und diese Mindestmengen sind festgelegt worden. Das heisst trockene Bachläufe, wie sie früher vorgekommen sind, sind gesetzlich nicht mehr erlaubt. Natürlich wären naturbelassene Bäche besser – aber immerhin.
Und wie sieht es mit der Umsetzung dieser Vorschriften aus?
Die Kantone hatten 20 Jahre Zeit für die Umsetzung dieser Restwasser-Vorschriften – bis 2012. Selbst drei Jahre danach haben nur zwei Drittel der Kantone das wirklich umgesetzt. Es gibt noch viel zu tun.
In vielen internationalen Konventionen – auch die Weltbank hat das in ihrer Richtlinie festgeschrieben – steht: Grundsätzlich sollten Dämme nur unter Einbezug der lokalen Bevölkerungen gebaut werden. Warum ist das so wichtig?
Dämme werden oft in strukturschwachen, abgelegenen Regionen gebaut. Die Vorteile der Dämme entfalten sich aber meist sehr weit davon entfernt: Der Strom wird für die Städte produziert, Gewinne machen vor allem die Investoren der Projekte. Umgekehrt spürt die lokale Bevölkerung die Auswirkungen, die aus der Ferne kaum bemerkt werden: Dörfer sind unter Wasser gesetzt, die Fischerei leidet.
Oft werden Entschädigungen versprochen – aber dann nicht bezahlt.
Auch während des Baus gibt es Probleme in diesen Gebieten: Die kleinen Orte werden von tausenden von Arbeitern überflutet. Das hat Folgen für die öffentliche Sicherheit, Schulen, Gesundheitswesen. Oft werden deswegen Entschädigungen versprochen. Aber wie man zum Beispiel im Amazonas mehrfach gesehen hat, werden diese dann oft nicht bezahlt.
Haben denn die betroffenen Menschen nach internationalem Recht eine Möglichkeit, sich zu wehren?
Vor dem Uno-Menschenrechtsrat gibt es immer wieder Anhörungen. Man kann auch vor internationalen Gerichten klagen. Im Fall des Staudamms Belo Monte im Amazonas wurde das gemacht vor der interamerikanischen Kommission für Menschenrechte. Diese hat den Klägern recht gegeben. Gebaut worden ist trotzdem.
In Brasilien wurde der Staudamm am Tapajós-Fluss 2016 nach nationalen und internationalen Protesten gestoppt. Unter anderem, weil rund 12’000 indigene Menschen vertrieben worden wären. Ist das immerhin ein Etappensieg?
Ich wäre vorsichtig, hier Rückschlüsse zu ziehen. In Brasilien hat man gesehen, dass es immer wieder solche Erfolge gibt und dann höhere Gerichte diese Entscheide wieder zurücknehmen. Darum gab es beim Belo Monte auch immer ein Stop-and-go.
Letztlich hat vieles auch mit den Landrechten der Leute vor Ort zu tun. Und diese Landrechte werden nur sehr schleppend anerkannt. Solange wird es immer wieder zu Entscheiden kommen, wo ein Damm dann trotzdem wieder weiter gebaut werden darf.
Wie soll man denn bei Dammbauten die Güterabwägung machen zwischen Umweltschutz, Rechten der lokalen Bevölkerung und Energieversorgung mit sauberem Strom für Millionen?
Einerseits gibt es klare Regeln: es gibt die Mitbestimmung der Leute vor Ort, und die Informationspflicht zwischen den Staaten. Im internationalen Recht gibt es das Prinzip «man darf den Nachbarn durch das Projekt nicht schädigen». Diese Entscheide sind aber auch politisch und gesellschaftlich und haben damit eine gewisse Eigendynamik.
Oft sind kleine, «unproduktive» Gesellschaften betroffen weitab von den Machtzentren. Für diese ist es schwierig, ihre Rechte zu sichern. Es ist ein ständiges Aushandeln. In der Schweiz war es auch so. Beim Marmorera-Staudamm im Bündnerland wurde das Dorf Marmorera geflutet. Auch Andermatt wäre fast untergegangen. 1946 hat man sich aber erfolgreich gegen den geplanten Staudamm bei der Schöllenenschlucht gewehrt.
Ist die Stromproduktion mit Flusskraftwerken überhaupt noch kosteneffizient, wenn Solar- und Windenergie immer günstiger werden?
Das ist eine Streitfrage. Viele Dammkritiker sagen, man sollte mehr auf Wind und Sonne setzen. Ob das reichen wird, ist von Land zu Land verschieden. Abgesehen davon sind nicht nur Megadämme oder Grossprojekte ein Problem. Sogar bei kleineren Kraftwerken, wie sie zum Teil vorgeschlagen werden, stellt sich die Frage, ob sie wirklich sinnvoll sind.
In der Schweiz sind die Natur- und Umweltschutzverbände dagegen. Ihre Haltung ist klar: Die letzten Flüsse sollen nicht noch für ein bisschen Strom zusätzlich geschädigt werden.
Das Gespräch führte Christoph Keller.