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Ein missverstandenes Tier: Was nützt gegen die nervige Wespe?
Aus Input vom 21.08.2024. Bild: IMAGO/blickwinkel
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Biologie trifft Philosophie Die verfluchte Wespe – Annäherung an ein missverstandenes Tier

Wespen vermiesen uns so manchen schönen Tag im Freien. Wozu sind diese lästigen Tiere eigentlich gut? Eine Frage, die mehr über uns Menschen verrät als über das missverstandene Insekt.

Alles könnte so schön sein. Blauer Himmel, barfuss im Garten, der Tisch ist gedeckt. Die Gäste sitzen – «bsss!» – bei Bowle und Bier. Kaum sind die Teller serviert, sind – «bsss!» – auch sie da: die schwarz-gelben Flugungeheuer. Wespen. Sie kommen, um zu stören und im schlimmsten Fall zuzustechen. Zu etwas anderem sind diese nervigen Tiere ja nicht fähig. Oder?

Wozu ist das Tier gut? Wir wagen die Flucht nach vorn und eine Annäherung an die Wespe.

Club der Wespenfreunde

Sie sind seltener als Bienenfreundinnen oder Hobbyimker, aber mindestens so leidenschaftlich: Wespenfans. Unter ihnen promovierte Biologinnen, ehemalige Feuerwehrleute oder Wespennest-Entferner wie Andi Roost. Der Schaffhauser Holz- und Metallbauer rückt einmal pro Woche aus, um auf Auftrag Wespennester zu entfernen – hobbymässig und schonend.

Die unbeliebte Wespe: Seine Leidenschaft

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Legende: Untersucht und lieb gewonnen: Andi Roost faszinierte die Wespe bereits vor Jahrzehnten. zVg

Andi Roosts Leidenschaft beginnt in seiner Kindheit, als eine Hornisse, die grösste aller Wespenarten, sich ins Haus seiner Familie verirrt. «Danach haben mich die Tiere nicht mehr losgelassen. Ich bin ihnen auf dem Velo hinterhergefahren, habe sie untersucht, gezeichnet und mich eingelesen.»

«Das mache ich mit einer Art Staubsauger. In der Regel überleben das alle Tiere.» Anschliessend wildert Roost das Volk in einem Waldstück aus. «In mindestens sieben Kilometer Entfernung, sonst finden die Wespen den Weg zurück!»

Die Andersartigkeit der Wespe

«Es ist die total andere Lebensstrategie dieser Tiere, die mich fasziniert», sagt Seraina Klopfstein. Die Biologieprofessorin kuratiert das Archiv des Naturhistorischen Museums Basel und widmet ihr wissenschaftliches Leben der Darwinwespe – einer Wespenart, die von den meisten Menschen unbemerkt in Schweizer Wäldern lebt.

«Darwinwespen leben parasitoid. Das heisst, sie legen ihre Eier in die Larven anderer Wespen hinein. Die neuen Larven lähmen anschliessend die Wirtslarve und ernähren sich von ihr.» Ein Vorgang, der auf uns Menschen abstossend wirkt. «In der Insektenwelt ist diese Strategie sehr weit verbreitet und effizient: Pro Darwinwespe wird so schliesslich nur ein anderes Insekt verfüttert.»

Die Doktorin der Entomologie Seraina Klopfstein mit einer Wespensammlung des Naturhistorischen Museums Basel.
Legende: Seraina Klopfstein Die Biologin hat auf die Evolution der Darwinwespe doktoriert und kuratiert die Insektensammlung am Naturhistorischen Museum Basel. SRF

Wir Menschen blickten mit einem vorgefertigten Blick auf Wespen, so Klopfstein: «Oft projizieren wir unsere Ängste auf das Tier und unterstellen ihm, es sei aggressiv und wolle uns absichtlich schaden.»

Dabei nehmen Wespen von Menschen kaum Notiz. «Die Tiere erfüllen lediglich ihr genetisches Programm, sind auf Nahrungssuche für sich selber und den Nachwuchs. Ihr Stachel ist primär für die Jagd auf andere Insekten da. Nur in zweiter Linie brauchen sie ihn zur Verteidigung.»

Greifbare Faszination

Die Biologin ist fasziniert vom Reich der «Wespenartigen». Ein Blick in die «Entomologie», also in die Insektenforschung, macht diese Faszination greifbar.

Die unterschätzte Familie der Wespen

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Legende: Eine Darwinwespenart: Aeglocryptus zVg, Mabel Alvarado
  • Enorme Artenvielfalt: Die lästigen Wespen, die es auf unsere Grillade und Getränke abgesehen haben, lassen sich in zwei Arten unterteilen: Die Vespula Germanica, die «Deutsche Wespe», und die Vespula Vulgaris, die «Gemeine Wespe». Sie bilden Staaten aus einer Königin, Arbeiterinnen und Drohnen. Gemeinsam mit den Hornissen und 22 weiteren Wespen gehören sie zu den Sozialen Wespen.
  • Unterschätzte Tierfamilie: Der Grossteil der Wespenarten lebt solitär, also als Einzelgängerinnen. 9000 Arten sind es allein in der Schweiz. Darunter sind die Darwinwespen, Goldwespen, Erzwespen, Zehrwespen und weitere. Die meisten leben parasitoid und tragen so zum Gleichgewicht in der Natur bei. Diese sogenannten «Schlupfwespen» werden auch in der biologischen Schädlingsbekämpfung eingesetzt. Weltweit sind ungefähr 300'000 Wespenarten bekannt.
  • Schlaue Kulturfolger: Wir Menschen ziehen die Wespe unbewusst an: Die Deutsche und die Gemeine Wespe interessieren sich aus zwei Gründen für unser Essen: Die Kohlenhydrate aus Früchten, Süss- und alkoholischen Getränken benötigen sie für sich selber. Davon ernähren sich die erwachsenen Tiere. Das proteinhaltige Fleisch holen sie für den Nachwuchs, die Larven im Nest.
  • Kunstvoller Nestbau: Soziale Wespen bauen Totholz ab, zerkauen es und bauen aus dieser Masse Nester – im Grunde haben sie also das Papier «erfunden».
  • Wichtige Funktion: Ein ausgewachsenes Wespennest vertilgt an einem Tag bis zu zwei Kilogramm Insekten. «Die Deutsche und die Gemeine Wespe vertilgen in einem Wespenjahr von Frühling bis Spätsommer bis zu fünf Millionen Fleischportionen. So regulieren sie den Insektenbestand grundlegend mit», so Biologieprofessor und Philosoph Michael Ohl.
  • Grundsätzlich ungefährlich: In den allermeisten Fällen sind Wespenstiche zwar schmerzhaft, aber ungefährlich. Es gibt zwei Ausnahmen: Für Allergiker:innen können Wespenstiche tödlich verlaufen: Wenn man kein Gegenmittel hat, schnellstens in die Notaufnahme. Auch für Nicht-Allergiker:innen gilt allerdings: Wenn eine Wespe unbemerkt verschluckt wird und in den Hals sticht, kann auch das gefährlich werden. Schnellstmöglich in die Notaufnahme.

Quellen: PD Dr. Seraina Klopfstein, Naturhistorisches Museum Basel / Prof. Dr. Michael Ohl, Museum für Naturkunde, «Wespen», 2023

Wozu ist die Wespe gut?

«Das ist eigentlich die falsche Frage», sagt Biologieprofessor Michael Ohl. «Allein, dass das Tier existiert, beweist: Wespen erfüllen eine biologische Funktion. Sonst wären sie von der Evolution ausselektioniert worden.» Michael Ohl lehrt an der Humboldt Universität in Berlin und ist Autor mehrerer Bücher über Wespen. Zwar gibt es einen grossen Markt für Wespenvertreibungsmittel. Einen Schutz vor Wespen gebe es aber praktisch nicht.

«Eigentlich hilft nur Verständnis für das widerspenstige Tier», so seine Auffassung. «Das Mindset der Koexistenz: Wespen existieren nun mal auf diesem Planeten und erfüllen eine biologische Funktion. So wie wir Menschen auch. Das zu akzeptieren kann zu mehr Gelassenheit gegenüber den Wespen führen.» Die Folge davon könne sein, dass man Kaffee und Kuchen in Ruhe am Küchentisch einnimmt und erst danach wieder ins Freie geht.

    Wasser und Mindset: Das nützt gegen die Plagegeister

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    Legende: Michael Ohl zVg, Michael Ohl
    • «Es gibt Biologinnen, die sagen, Wespennestattrappen würden helfen. Ich habe da meine Zweifel», so die Einschätzung des Biologieprofessors Ohl.
    • Das einzig Effiziente sei ein Wasserzerstäuber. «Diesen kann man auf dem Balkontisch bereithalten und die Wespen damit abspritzen. Wenn sie nass werden, meinen sie, es regne und sie fliegen zurück ins Nest.»
    • Wespennest-Entferner Andi Roost ergänzt: «Eine Ablenkfütterung kann helfen: Bevor man selber zu essen beginnt, kann man dezentral einen Teller aus Fleischstücken oder Früchten für die Wespen in den Garten stellen.»

Radio SRF 3, Input, 21.8.2024, 15:00 Uhr

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