Alles könnte so schön sein. Blauer Himmel, barfuss im Garten, der Tisch ist gedeckt. Die Gäste sitzen – «bsss!» – bei Bowle und Bier. Kaum sind die Teller serviert, sind – «bsss!» – auch sie da: die schwarz-gelben Flugungeheuer. Wespen. Sie kommen, um zu stören und im schlimmsten Fall zuzustechen. Zu etwas anderem sind diese nervigen Tiere ja nicht fähig. Oder?
Wozu ist das Tier gut? Wir wagen die Flucht nach vorn und eine Annäherung an die Wespe.
Club der Wespenfreunde
Sie sind seltener als Bienenfreundinnen oder Hobbyimker, aber mindestens so leidenschaftlich: Wespenfans. Unter ihnen promovierte Biologinnen, ehemalige Feuerwehrleute oder Wespennest-Entferner wie Andi Roost. Der Schaffhauser Holz- und Metallbauer rückt einmal pro Woche aus, um auf Auftrag Wespennester zu entfernen – hobbymässig und schonend.
«Das mache ich mit einer Art Staubsauger. In der Regel überleben das alle Tiere.» Anschliessend wildert Roost das Volk in einem Waldstück aus. «In mindestens sieben Kilometer Entfernung, sonst finden die Wespen den Weg zurück!»
Die Andersartigkeit der Wespe
«Es ist die total andere Lebensstrategie dieser Tiere, die mich fasziniert», sagt Seraina Klopfstein. Die Biologieprofessorin kuratiert das Archiv des Naturhistorischen Museums Basel und widmet ihr wissenschaftliches Leben der Darwinwespe – einer Wespenart, die von den meisten Menschen unbemerkt in Schweizer Wäldern lebt.
«Darwinwespen leben parasitoid. Das heisst, sie legen ihre Eier in die Larven anderer Wespen hinein. Die neuen Larven lähmen anschliessend die Wirtslarve und ernähren sich von ihr.» Ein Vorgang, der auf uns Menschen abstossend wirkt. «In der Insektenwelt ist diese Strategie sehr weit verbreitet und effizient: Pro Darwinwespe wird so schliesslich nur ein anderes Insekt verfüttert.»
Wir Menschen blickten mit einem vorgefertigten Blick auf Wespen, so Klopfstein: «Oft projizieren wir unsere Ängste auf das Tier und unterstellen ihm, es sei aggressiv und wolle uns absichtlich schaden.»
Dabei nehmen Wespen von Menschen kaum Notiz. «Die Tiere erfüllen lediglich ihr genetisches Programm, sind auf Nahrungssuche für sich selber und den Nachwuchs. Ihr Stachel ist primär für die Jagd auf andere Insekten da. Nur in zweiter Linie brauchen sie ihn zur Verteidigung.»
Greifbare Faszination
Die Biologin ist fasziniert vom Reich der «Wespenartigen». Ein Blick in die «Entomologie», also in die Insektenforschung, macht diese Faszination greifbar.
Wozu ist die Wespe gut?
«Das ist eigentlich die falsche Frage», sagt Biologieprofessor Michael Ohl. «Allein, dass das Tier existiert, beweist: Wespen erfüllen eine biologische Funktion. Sonst wären sie von der Evolution ausselektioniert worden.» Michael Ohl lehrt an der Humboldt Universität in Berlin und ist Autor mehrerer Bücher über Wespen. Zwar gibt es einen grossen Markt für Wespenvertreibungsmittel. Einen Schutz vor Wespen gebe es aber praktisch nicht.
«Eigentlich hilft nur Verständnis für das widerspenstige Tier», so seine Auffassung. «Das Mindset der Koexistenz: Wespen existieren nun mal auf diesem Planeten und erfüllen eine biologische Funktion. So wie wir Menschen auch. Das zu akzeptieren kann zu mehr Gelassenheit gegenüber den Wespen führen.» Die Folge davon könne sein, dass man Kaffee und Kuchen in Ruhe am Küchentisch einnimmt und erst danach wieder ins Freie geht.
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