Milliarden von Tieren wandern. Seit Millionen von Jahren. Tausende von Kilometern liegen zwischen ihren verschiedenen Lebensräumen.
Sie fliegen, gehen oder schwimmen dorthin, wo es Nahrung hat, wo sie rasten, überwintern und brüten können. Zu ihnen gehören einige der ikonischsten Arten: Wale, Haie, Elefanten, Wildkatzen oder Nachtigallen.
Warum soll mich das Schicksal wandernder Tiere kümmern?
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Wandernde Tierarten haben eine grosse ökologische, wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung.
Zugvögel, Fledermäuse und Insekten bestäuben Pflanzen und prägen ganze Landschaften, indem sie Samen weiterverbreiten. Ziehende Arten verlagern Nährstoffe und damit Energie für anderes Leben am Boden und im Wasser. Wandernde Meeresbewohner binden Kohlenstoff und helfen Lebensräume zu erhalten, die als Kohlenstoffsenken dienen.
Nomadische Tiere regulieren Ökosysteme, indem sie Pflanzen oder andere Tiere fressen und sie sind selbst wiederum Nahrung für andere Tiere. Auch der Mensch ernährt sich von ihnen. Als ökotouristische Attraktion können sie eine Einnahmequelle sein für die lokale Bevölkerung.
Sie haben auch einen emotionalen und ästhetischen Wert in der Geschichte der Menschheit. Sie bereiten Freude, wenn sie im Frühling zurückkehren. Wer sich erinnert, dass die Schwalben früher in unseren Ställen zu Hause waren, vermisst sie, ihr schrilles Pfeifen und ihre Tiefflüge, die Regen ankündigen.
Ziehende Tiere haben in vielen Kulturen eine spirituelle Bedeutung. Sie haben Kunst, Literatur und Musik inspiriert. Der Weissstorch galt bei uns lange als Symbol für Geburt.
Die kulturelle Bedeutung und die emotionale Bindung zu einer Tierart können dabei helfen, sie zu schützen. Der Andenkondor ist ein Beispiel dafür. Er ist für die indigenen Menschen ein spiritueller Bote. Wegen dieses religiösen Bezugs engagiert sich die lokale Bevölkerung für die Erholung des Kondors.
Doch viele ziehende Tiere sind stark gefährdet. Die Hälfte der 1200 Arten, die in der UN-Konvention zum Schutz wandernder Tiere (CMS) aufgelistet sind, steht unter massivem Druck. Jede fünfte Art ist vom Aussterben bedroht. Bei den ziehenden Fischen sind es 80 Prozent.
Wandernde Tiere brauchen intakte Reiserouten
Silke Bauer, Expertin für das Phänomen der Tierwanderung an der Schweizerischen Vogelwarte Sempach, erstaunen die Zahlen des ersten umfassenden UN-Berichts nicht. Wandernde Tiere seien besonders verletzlich.
Welche Tiere wandern wie?
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Unter allen wichtigen Tiergruppen finden sich Wanderer. Gewandert, geflogen, geschwommen und geschwebt wird bei den Säugetieren, Vögeln, Reptilien, Amphibien, Fischen und Insekten. Die meisten Tierwanderungen laufen nach einem regelmässigen und vorhersagbaren Muster ab.
Manche Tiere wie die Meeresschildkröten absolvieren lange einsame Reisen. Andere wie die Vögel fliegen gemeinsam und in grosser Zahl durch die Lüfte oder trappeln in Massen wie die Gnus durch die Savanne.
Grauwale schwimmen rund 18'000 Kilometer auf ihrer Wanderung vom fischreichen Beringmeer in der Arktis bis zum Golf von Kalifornien, wo sie ihre Kälber zur Welt bringen. Der amerikanische Monarchfalter fliegt bis zu 4’000 Kilometer von Nord- nach Mittelamerika. Streifengänse überfliegen zweimal im Jahr den Himalaya und wurden schon über dem Mount Everest gesichtet – in einer Flughöhe von 9'000 Metern.
Die europäischen Mauersegler fliegen auf ihrer Reise nach Afrika im Schnitt 560 Kilometer am Tag. Sie schlafen und paaren sich in der Luft und verbringen den europäischen Winter im afrikanischen Sommer. Sie überqueren die Sahara und fliegen gelegentlich bis ans Kap der Guten Hoffnung.
Ziel sind die besten klimatischen Bedingungen, saisonale Futterangebote und optimale Plätze zum Überwintern, Brüten und Aufziehen der Jungen.
Sie sind nicht auf einen Lebensraum angewiesen, sondern auf viele verschiedene. Lebensräume, die sich aneinanderreihen wie Perlen auf einer Schnur: «Wenn nur schon eine dieser Perlen zerstört wird, zerfällt die ganze Kette. Die Route ist unterbrochen.»
Mobil, aber weniger schnell als der Mensch
Wandernde Tiere haben an sich ein grosses Potenzial, sich neue und besser geeignete Orte zu suchen. Gerade, weil sie so mobil sind. «Aber das Problem ist im Moment einfach die Schnelligkeit der Veränderungen und die Vielzahl der Veränderungen».
Die Veränderungen sind vom Menschen verursacht. Dazu gehören der Habitatverlust durch Urbanisierung und landwirtschaftliche Intensivierung. Oder die Fragmentierung naturnaher Räume durch Strassen, Zäune oder Fischnetze.
Die grösste Tierwanderung der Welt
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Die Massenwanderung durch die Serengeti ist die grösste Tierwanderung der Welt. Millionen von Gnus, Zebras, Antilopen und Gazellen trappeln auf der Suche nach Wasser und Nahrung durch die Savanne, die sich vom Norden Tansanias bis in den Süden Kenias ins Massai-Mara-Naturreservat erstreckt. Darunter sind einige der weltweit grössten frei lebenden Huftierpopulationen. Die Tiere gehen und stehen manchmal so dicht gedrängt, dass man kaum noch den Boden sieht.
Sie grasen und gebären auf diesem langen Zug. Sie durchqueren den Mara-Fluss, in dem Krokodile geduldig lauern. Sie sind in Begleitung von Löwen, Hyänen, Wildhunden und Leoparden, die zugreifen, wenn der Hunger kommt. Sie sind eine wichtige Nahrungsquelle für andere gefährdete Tiere wie Geparden oder den Afrikanischen Wildhund. Und sie sind zunehmend unter Druck durch den Menschen.
Das Serengeti-Mara-Ökosystem ist ein Paradebeispiel für die Gefahr, die die Ausdehnung der Landwirtschaft, Siedlungen, Strassen oder Zäune für ziehende Tierarten bedeuten. Für die Tiere ist diese Landschaft überlebenswichtig. Sie finden oft nur noch hier Nahrung, während ringsum alles verdorrt ist.
Doch die Bevölkerung wächst und mit ihr die Grösse der Viehherden. Die kenianische Regierung hat die Flächen privatisiert und in kleine Parzellen aufgeteilt, die durch Zäune getrennt sind. Das schränkt die Bewegungsfreiheit traditionell halbnomadisch lebender Massai ein und unterbricht die Wanderrouten der ziehenden Tiere.
Überjagung und Überfischung sind die grösste Gefahr
Die grösste Gefahr aber ist die Übernutzung der Tiere. Jagd und Fischerei bedrohen viele wandernde Tierarten stark. Besonders tragisch: der ungewollte Beifang in der Fischerei. Für viele marine Arten ist der Beifang eine der häufigsten Todesursachen.
Weitere Bedrohungen sind Verschmutzung, auch Licht- und Lärmverschmutzung, invasive Arten und der Klimawandel. Der Klimawandel bringt das komplexe Zusammenspiel verschiedenster Faktoren aus dem Rhythmus. Oft subtil, aber mit existenziellen Folgen.
Reisezeit und Klima geraten aus dem Takt
Silke Bauer schildert diesen Taktverlust am Beispiel der Knutts. Diese Watvögel brüten in der Arktis, ziehen dort im kurzen Sommer ihre Jungen auf und überwintern in Mauretanien an der Westküste Afrikas: «In der Arktis setzt der Frühling zunehmend früher ein. Aber die Knutts kommen weiterhin zur gewohnten Zeit an. Das ist heute zu spät.»
Wir können heute sagen: ‹Schaut, diese Gebiete werden in der Zukunft sehr wichtig sein. Man kann und sollte sie daher schon heute schützen und verbessern.›
Die Jungvögel finden weniger Insekten zum Fressen und bleiben geringfügig kleiner als frühere Generationen. «Dann machen sie sich auf den Herbstzug nach Afrika und dort werden Ihre etwas kleineren Schnäbel zum Problem.» Denn die jungen Tiere erreichen ihre bevorzugte Nahrung im Watt – Schnecken, Muscheln, Würmer – nicht mehr so gut. Ihre Überlebensrate sinkt.
Heute schützen, was morgen wichtig ist
Forschende wie Silke Bauer beziehen den Klimawandel in ihre Modellierungen mit ein. Sie prognostizieren, wo die Zugbewegungen der wandernden Tiere in Zukunft verlaufen werden.
«Wir können heute sagen: ‹Schaut, diese Gebiete werden in der Zukunft sehr wichtig sein. Man kann und sollte sie daher schon heute schützen und verbessern.›» Denn diese Regionen und Lebensräume sind die Perlen von morgen.
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