Während sich der Mensch im 19. Jahrhundert mehr ausbreitete und den Wald für sich nutzte, verschwanden Wildtiere: Vom Fischotter bis zum Wildschwein – die Liste der Tiere, die zeitweise keinen Lebensraum fanden, ist lang. Seit Jahrzehnten bemühen sich Forschende, das zu ändern.
Mit Erfolg wieder angesiedelt wurde der Bartgeier. Etwa 350 Geier leben heute im Alpenraum. Biologinnen und Biologen verfolgen seit 30 Jahren, wie sich die Population verändert. Ein immenser Aufwand.
Inzucht – ein Risiko
Und es gibt Probleme: Bereits drei Jungvögel können nicht fliegen. Ihre Federn sind fehlgebildet, den Flügeln fehlt die Tragfläche. Biologe Daniel Hegglin von «Pro Bartgeier» sorgt sich: «Die Tiere sind im Schnitt näher verwandt, es gibt Inzuchtrisiken.»
Um den Genpool besser zu durchmischen, versuchen europäische Forschende neue Geier anzulocken und streuen dafür Futter von den Pyrenäen bis in die Schweizer Alpen.
Ist es sinnvoll, dass der Mensch sich in die Natur einmischt?
Für Hegglin eine moralische Frage: «Wir haben diese Art ausgelöscht und jetzt die Chance, wenn wir das für richtig halten, sie wieder zurückzubringen.» Ein Eingriff sei es so oder so, egal ob der Mensch handle oder nicht.
Infrastruktur – eine Bedrohung
Ohne aktives Handeln gäbe es auch den Luchs nicht mehr. In den 1970ern haben ihn Forschende aktiv angesiedelt. Heute gibt es 260 Luchse.
Doch auch sie haben Genprobleme. Strassen und Siedlungen durchschneiden ihren Lebensraum – die Luchse können sich nicht durchmischen. «Wir sitzen auf einem Pulverfass», sagt Biologin Christine Breitenmoser von der Wildtierstiftung KORA.
Damit Luchse langfristig in Europa leben können, brauchen sie Hilfe. Einerseits durch Zoos: Vom Tierpark Dählhölzli könnten Nachkommen eines Luchspaars aus Tschechien in der Schweiz ausgewildert werden. Andererseits durch Korridore, dank denen die Raubkatzen unbegrenzt wandern könnten.
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Bild 1 von 5. Etwa 40'000 Rothirsche – von den Alpenkantonen bis ins Mittelland. Intensive Jagd, das Abholzen des Waldes und eine kleine Eiszeit haben den Hirsch aus der Schweiz vertrieben. Nach Einführen des Jagdgesetzes 1875 kamen die Rothirsche von alleine zurück. Sie sind sehr anpassungsfähig und vermehren sich zunehmend. Bildquelle: Imago Images / blickwinkel.
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Bild 2 von 5. Etwa 260 Luchse – die genetische Vielfalt ist bedroht. Die Luchspopulation kann sich nur langsam ausdehnen, weil ihr Lebensraum nicht vernetzt ist. Das bedroht die Genvielfalt der Luchse. Die Raubkatzen sind auf die Hilfe des Menschen angewiesen. Bildquelle: Netz Natur.
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Bild 3 von 5. Etwa 15 Fischotter – auf langsamen Pfoten zurück. Der Fischotter kam von alleine zurück, ohne aktives Eingreifen des Menschen. Ein Männchen allein beansprucht 40 Kilometer Fluss. Dass Gewässer häufig verbaut sind, beschränkt seinen Lebensraum in der Schweiz. Bildquelle: Netz Natur.
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Bild 4 von 5. Etwa 350 Bartgeier – mit immensem Aufwand angesiedelt. Seit den 1990er Jahren siedeln Forschende Bartgeier aktiv an: Sie tracken die Vögel per GPS und locken weitere Geier an, in der Hoffnung, damit ersten Anzeichen von Inzucht entgegenwirken zu können. Bildquelle: Iamgo Images / Addictive Stock.
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Bild 5 von 5. Etwa 240 Wölfe seit 2012 – nicht von allen toleriert. Mindestens 20 Wolfsrudel braucht es, damit die Population überleben kann. Heute sind es 23 Rudel in der Schweiz. Im Konflikt um den Wolf will das Parlament den Abschuss erleichtern, gegen die Lockerung wurde das Referendum ergriffen. Bildquelle: Netz Natur.
Wie gut Wildtierkorridore funktionieren, zeigen Ergebnisse des Forschungsprojekts «Rothirsche im Mittelland». Bereits ein Jahr nach Bau einer Wildtierbrücke über die A2 im Thurgau, konnte Biologe Claudio Signer einen besenderten Rothirsch tracken, der bei seiner Wanderung so die Autobahn überwand.
Anpassung – eine Chance
Der Rothirsch gehört zu den Wildtieren, die von alleine zurückgekehrt sind, nach Einführen des Jagdgesetzes 1875. Jetzt gibt es etwa 40'000 Hirsche in der Schweiz. Und es werden immer mehr.
Im Vergleich zu den Alpenkantonen ist das Mittelland dicht besiedelt. «Was mich sehr fasziniert ist, dass der Rothirsch seine Lebensräume selber recht gut erschliessen kann», sagt ZHAW-Forscher Signer. Die Hirsche hätten ihren Rhythmus an den Menschen angepasst und seien jetzt nachtaktiv, um in den Morgenstunden ungestört in Siedlungsnähe fressen zu können: «Das ist eine extreme Verhaltensänderung.»
Auch andere Tiere kommen von sich aus zurück, wie der Fischotter oder der Wolf. Das führt auch zu Konflikten, wie viel Raum der Wolf einnehmen darf, wird schon länger diskutiert.
Damit das Nebeneinander von Mensch und Wildtier klappt, brauche es Zugeständnisse, dass zum Beispiel der Lebensraum der Tiere vernetzt werde, meint Claudio Signer: «Wenn der Mensch nur seine eigenen Bedürfnisse in den Vordergrund stellt, wird’s schwierig.» Doch, dass es seit ein paar Jahren auch im Mittelland Rothirsche gibt, macht dem Biologen Hoffnung.