Es war kurz vor Weihnachten 2016 – der erste Nachweis von F18 auf dem Gebiet des Nationalparks. F steht für das englische female, also ein Weibchen. Die genetischen Daten aus ihrem Kot lassen darauf schliessen, dass sie aus dem Calanda-Rudel stammt, jenes erste Wolfsrudel in der Schweiz, das seit 2012 im Calanda-Gebiet lebt.
«Die Freude war gross», erinnert sich Pia Anderwald, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Nationalparks. Damals ging man davon aus, dass sich in wenigen Jahren ein Rudel bilden würde. «Ein Rudel hätte grosse Auswirkungen auf das Ökosystem», ist Pia Anderwald überzeugt. Sie nennt ein Beispiel aus Amerika, wo die Wiederansiedlung von Wölfen im Yellowstone Nationalpark die aus den Fugen geratene Natur zurück ins Gleichgewicht brachte.
Beobachtungen nur durch Zufall
Doch während sich im gesamten Alpenraum immer mehr Rudel bildeten, aktuell sind es laut neusten Schätzungen in der Schweiz 15 und im Alpenraum rund 300 Rudel, blieb F18 allein: In den sechs Jahren seit ihrer Ankunft sind zwar vereinzelt auch Wolfsrüden in den Park gekommen, geblieben ist aber keiner. Warum das so ist? «Das bleibt wohl das Geheimnis von F18», schmunzelt Pia Anderwald.
Ab und zu zeigt sich die scheue Wölfin einem Parkwächter oder Gästen. Immer sind es kurze Zufallsbeobachtungen. «Dann ist man selig», sagt Pia Anderwald, die allerdings selbst noch nie das Glück hatte, die Wölfin zu sehen.
Grosse Veränderungen erwartet
Mitarbeiter des Nationalparks untersuchen seit Jahren das Verhalten und die räumliche Verteilung von Hirschen, Gämsen, Steinböcken, Füchsen und sogar von Mäusen im Park. «Wir erwarten, dass die Rötelmaus und andere Kleinsäuger vom Einfluss eines Wolfsrudels profitieren könnten», sagt Pia Anderwald. Nicht direkt, aber indirekt, weil sich durch die Wölfe beispielsweise das Verhalten der Rothirsche ändert.
Die momentane Hirschdichte im Park ist nämlich hoch. Die Pflanzenfresser halten einige Wiesen dermassen kurz, dass diese mancherorts einem Golfrasen ähneln. «Ein Wolfsrudel würde bewirken, dass sich die Hirsche anders verteilen und nicht immer dieselben Orte aufsuchen», so die These. Dadurch könnten Gras, Sträucher und Bäume besser wachsen, wodurch Kleinsäuger Deckung finden und besser geschützt sind vor Fressfeinden, wie Raubvögeln oder Füchsen.
«Und auch für die Füchse könnte sich einiges ändern», vermutet Pia Anderwald. Zu ihrem Vorteil, weil sie vom Fleisch gerissener Hirsche und Gämsen fressen können. Aber auch zu ihrem Nachteil, weil Wölfe durchaus auch Füchse jagen.
Ein Wolf allein ändert kaum etwas
Noch ist es aber nicht so weit. F18 hat als Einzelwölfin kaum Einfluss auf ihre Beutetiere. «Sie reisst hauptsächlich Hirschkälber und Hirschkühe», sagt Pia Anderwald. Von Wölfen ist bekannt, dass sie meist schwache Tiere erbeuten.
Irgendwann aber wird es so weit sein. «Dann wird ein Wolfspaar den Nationalpark für sich entdecken und Junge aufziehen», ist die Biologin überzeugt. Was dann mit F18 geschieht? Es könne sein, dass sie doch noch selbst Mutter wird oder sich einem Rudel anschliesst, es sei aber auch möglich, dass sie vertrieben oder gar getötet wird. «Alles ist möglich, aber es wird auf alle Fälle spannend».