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Toxoplasma: Ein Parasit macht Wölfe stark
Aus Kultur-Aktualität vom 07.12.2022. Bild: Imago Images / Reiner Bernhardt
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Kleiner Strippenzieher Parasit macht Wölfe mutiger

Sind Grauwölfe mit einem Parasiten befallen, werden sie öfter zu Leitwölfen. Der Erreger lässt auch andere Tiere risikofreudiger werden – und vielleicht sogar Menschen.

Im Yellowstone-Nationalpark im Nordwesten der USA leben neben Bären und Bisons auch zahlreiche Grauwölfe. Ein Teil dieser Tiere ist von dem Parasiten Toxoplasma gondii befallen, und der verändert ihr Verhalten.

Eine neue Studie zeigt: «Die Wölfe, die den Parasiten haben, entwickeln sich öfter als sonst zu Leitwölfen», so Studien-Co-Autorin Kira Cassidy. Die Wahrscheinlichkeit, Leitwolf zu werden, liege bei ihnen ganze 46-Mal höher als bei nicht infizierten Tieren. Und es sei 11-Mal wahrscheinlicher, dass sie ihr sicheres Rudel verlassen. Sie werden einen Tick aggressiver und furchtloser.

Auch Mäuse verlieren ihre Angst

Die grosse Langzeitstudie mit Blutproben von 230 Wölfen und Angaben zu ihrem Verhalten, belegt besonders eindrucksvoll, was schon von anderen Tieren – von Schimpansen bis Hyänenwelpen – bekannt ist. So hat eine Studie der Universität Genf gezeigt: Toxoplasma-infizierte Labor-Mäuse verlieren «nicht nur ihre Angst vor Katzen, sondern auch vor Menschen, vor der Höhe und anderen Gefahren. Sie werden allgemein furchtlos», sagt Forscher Ivan Rodriguez.

Neuroparasiten – Manipulativ und einflussreich

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Auch andere Parasiten manipulieren das Verhalten ihrer Wirte. Der Wurm Plagiorhynchus cylindraceus etwa lässt Asseln aus ihren Verstecken spazieren, sodass sie öfter von Vögeln verspeist werden, in denen der Parasit sich vermehren kann.

Der kleine Leberegel manipuliert Ameisen so, dass sie sich an den Spitzen von Grashalmen festbeissen, wo sie dann von Schafen und Kühen gefressen werden, den Endwirten des Parasiten.

Oder Saitenwürmer bringen Grillen dazu, ins Wasser zu hüpfen, obwohl sie nicht schwimmen können. Doch der Wurm kann sich im Wasser vermehren.

Der Einfluss von verhaltensverändernden Parasiten werde wohl unterschätzt, sagt Wildtierökologin Kira Cassidy: «Sie können ganze Ökosysteme beeinflussen.»

Aus Sicht des Parasiten macht das Sinn. Furchtlose Tiere werden öfter gefressen und dadurch gelangt der kleine Einzeller in neue Wirte. Im neuen Körper nistet er sich dann ein, auch im Gehirn, wo er bei Versuchstieren u.a. den Stoffwechsel verändert. Was ganz genau der Parasit dort tut, ist noch offen. Doch klar scheint: Wenn dieser Neuroparasit einmal im Gehirn seines Wirts drin ist, dann bleibt er dort, in einer Art Schlafzustand.

Ein Drittel der Menschen ist infiziert

Der Toxoplasma-Erreger ist weit verbreitet, sagt Kira Cassidy. «Auch ein Drittel aller Menschen hat den Erreger, ohne es zu wissen.» Die meisten Menschen haben keine oder unauffällige Symptome. Gefährlich kann der Parasit für Embryos sein. Schwangere – ebenso wie Immungeschwächte – sollten daher den Kot von Katzen, dem Endwirt des Erregers, tunlichst vermeiden, und Fleisch nur gekocht essen.

Es gibt eine Reihe von Studien, die auch bei Menschen eine grössere Risikobereitschaft zeigt.
Autor: Ivan Rodriguez Forscher

Doch werden auch Menschen risikofreudiger? «Tatsächlich gibt es eine Reihe von Studien, die auch bei Menschen eine grössere Risikobereitschaft nachweisen», sagt Ivan Rodriguez. Diese Studien zeigen: Personen mit dem Erreger haben öfter Autounfälle, sie gründen deutlich öfter Start-ups oder haben eine grössere Neigung zu pathologischem Jähzorn. Auch erhöhte Dopamin- und Testosteron-Werte wurden gemessen.

Versteckter Antrieb bei Abenteuersport?

Es könnte sein, meint die wissenschaftliche Mitarbeiterin des Yellowstone Nationalparks, Kira Cassidy, dass Leute, die extrem gefährliche Sportarten wie Skydiving machen, «nicht nur durch persönliche Neigungen angetrieben werden, sondern auch durch den Toxoplasmose-Erreger».

Klar belegt sei das allerdings nicht. Allgemein zeigen die bisherigen Studien immer nur Korrelationen, keinen ursächlichen Zusammenhang. Ob und wie konkret «Toxoplasma gondii» das komplexe menschliche Verhalten steuert – gilt es noch zu beweisen. Bei infizierten Tieren wie Mäusen und Wölfen aber – kann man heute sagen: Ein kleiner Neuroparasit zieht in ihnen die Strippen. 

Kultur-Aktualität, 07.12.2022, 17:10 Uhr

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